Literatur

Anstoß einer notwendigen Debatte

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Am 28. Mai wird der Leipziger Buchpreis verliehen. Die Nominierungen der Jury sorgten für Diskussionen und Kritik. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie Weiß der Literaturbetrieb ist.

Der Literaturbetrieb öffnet sich. Er öffnet sich für notwendige Debatten wie Diversität, Geschlecht, Identität und Rassismus. Und dann ist da diese Liste, die Shortlist des Leipziger Buchpreises. In einer ersten Einschätzung heißt es dazu bei Deutschlandfunk Kultur, die Auswahl der Jury erscheine wie eine „programmatische Entscheidung“ sich nicht mit diesen notwendigen Debatten zu beschäftigen. „Der deutschsprachige Literaturbetrieb öffnet sich gerade, doch diese Liste macht die Schotten dicht“, kommentiert die TAZ. Eine Liste mit der die Jury deutlich macht, dass es für sie nichts zu debattieren gibt. Eine Debatte über eine angemessene Berücksichtigung von Frauen und Männern bei den Nominierten wurde dieses Mal mit vier Frauen und einem Mann im Bereich Belletristik von vornherein gelöst. Mit Judith Herrmann, Christian Kracht oder Frederike Mayröcker sind in diesem Jahr überaus bekannte Autor:innen nominiert. Diese Liste wirkt allerdings so entrückt, dass man meinen könnte, die Jury hätte Martin Walser mit seinem neuen Buch wirklich vergessen. 

Dass eine Diskussion über diese Shortlist sehr wohl von Nöten ist, zeigte sich noch am Tag der Bekanntgabe. Die Autorin und Übersetzerin Nicole Seifert twitterte zum Beispiel:

https://twitter.com/nachtundtagblog/status/1381993596014956546

Ja, in allen drei Sparten des Leipziger Buchpreises (Belletristik, Sachbuch und Übersetzung) sind mit Ausnahme von Louis-Karl Picard-Sioui, der indigener Kanadier ist, ausschließlich weiße Autor:innen nominiert. Dabei gehören die von Seifert erwähnten Bücher von Sharon Dodua Otoo, Mithu Sanyal, Asal Dardan oder Shida Bazyar für viele Kritiker:innen zu den am meist erwarteten des Frühjahrs. Ihnen allen wurde eine Nominierung für den Leipziger Buchpreis zugetraut.

Ein offener Brief für mehr Vielfalt

So dauerte es nicht lange bis ein offener Brief von Autor:innen, Übersetzer:innen, Germanist:innen und weiteren Protagonist:innen des Literaturbetriebs auftaucht. Die Unterzeichnenden halten die Shortlist für „problematisch“. Der Hashtag #allzuweiss, der auf das Thema aufmerksam machen soll, ist schnell geboren. Die Verfasser:innen des offenen Briefs bestreiten nicht, dass es sich bei den Nominierten um „hochverdiente Autor:innen und Übersetzer:innen“ handelt. „Jede:r Einzelne wäre ein:e würdige:r Preisträger:in.“ Doch kritisieren sie die Auswahl der Jury, weil sich unter den Nominierten „keine Schwarzen Autor:innen und Autor:innen of Colour“ befinden. „Dabei hätte es gerade in diesem Frühjahr genug Auswahl gegeben an Autor:innen, die bereits öffentliche Anerkennung und Auszeichnungen erhalten haben.“ Der Brief sei auch kein Angriff auf die Jury, vielmehr wolle man die Gelegenheit zum Anlass nehmen „eine Diskussion zu führen, die in unseren Augen längst überfällig ist.“ Eine Debatte „über institutionelle Strukturen innerhalb der deutschen Gesellschaft, die nicht immer für alle wahrnehmbar sind, aber dennoch immer wirken. Auch im Literaturbetrieb.“ Es sind Weiße Strukturen, die hier sichtbar werden, auch in der Zusammensetzung der Jury. Ein Ansatz könnten weniger homogen zusammengesetzte Literaturjurys sein. Verlage, Literaturagenturen und -häuser und Literaturinstitute könnten auf mehr Chancengerechtigkeit achten. Der offene Brief enthält eine Reihe von konkreten Vorschlägen. Gewiss „mehr literarische Stimmen von Nicht-Weißen garantieren nicht automatisch völlig andere Texte. Und erst recht garantieren sie nicht eine an sich bessere Literatur. Aber sie machen es wahrscheinlich, dass das literarische Angebot vielfältiger wird […]“, kommentiert René Aguigah im Deutschlandfunk Kultur.

Qualität als entscheidendes Argument

Aber sollten überhaupt Identitätszuschreibungen der Autor:innen eine Rolle spielen, wenn man über Literatur entscheidet? Die Antwort ist ja, denn wenn das entscheidende Argument die literarische Qualität eines Textes ist, schließt es das Kriterium der Diversität nicht aus. Qualität und Diversität sind keine Gegensätze. Das Gegenteil ist der Fall, sie bedingen sich. Da wo Vielfalt herrscht und man sie als Bereicherung versteht, haben Jurys eine größere Auswahl an auszuzeichnenden Texten. Wären Qualität und Diversität Gegensätze, würde dies bedeuten, dass Literatur von BIPoC oder auch Queeren per se schlechter sei. Dass Minthu Sanyal, Sharon Dodua Otoo, Asal Dardan oder Shida Bazyar nicht auf der Shortlist des Leipziger Buchpreises gelandet sind, liegt nicht daran, dass ihre Bücher nicht qualitativ überzeugt hätten, und es liegt auch nicht daran, dass weiße Autor:innen besser schreiben können. Es wird hier einfach vielfach deutlich, dass nicht-weiße Menschen aufgrund der Voreingenommenheit derer, die auswählen, und weil sie zu wenig sichtbar sind, deutlich schlechtere Chancen aufs gewinnen haben. Denn es ist doch so: „Jurys arbeiten nicht im luftleeren Raum“. Eine Jury diskutiere immer über „das, was ist […]. Eine Quotierung findet permanent statt“, sagt die Journalistin Elke Schmitter. Nur in einer idealen Welt gehe es einfach nur um Qualität. „Solange man aber anerkennt, dass in unserer Kulturlandschaft nach wie vor historisch gewachsene, sexistische und rassistische Strukturen bestehen, wird man auch erkennen, dass viele Gruppen weiterhin benachteiligt sind. Und diese müssen erstmal einbezogen werden in die Auswahlprozesse, bevor man über ihre Qualität urteilen kann“, macht die Autorin, Übersetzerin und Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert deutlich.

Darum müssen Minderheiten und benachteiligte Gruppen in den Blick von Jurys geraten. Im besten Fall werden sie in die Arbeit miteingebunden, was den Auswahlprozess bereichert. Denn Literaturjurys arbeiten immer in gesellschaftlichen Diskursen. „Die reine Qualität mag es im Edelsteingewerbe geben – bei der Tätigkeit von Literaturjurys ist sie ein Trugbild.“

Die Entscheidung der Jury über die Shortlist des Leipziger Buchpreises hat zu einer Debatte geführt. Neben der Frage, ob eine Liste aktuell oder inhaltlich relevant ist oder ob eine faire Anzahl an Frauen und Männern ausgewählt wurde, wird sie sich mittelbar und mittelfristig auch die Frage stellen müssen, können wir wirklich nur Weiße Autor:innen nominieren? Im Literaturbetrieb öffnet sich gerade etwas.

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