Film, reingezogen

American Psycho – ein (a)normaler Protagonist

Instagram
Twitter
Visit Us
Follow Me
Follow by Email

Im Film American Psycho bewegt sich der Protagonist Patrick Bateman zwischen zwei Welten: Einerseits ist er ein erfolgreicher Investmentbanker, andererseits ein brutaler Serienmörder. Er bildet damit nicht nur den Prototyp eines Psychopathen ab, sondern vor allem auch den Prototyp eines „normalen“ Menschen in einer materialistischen Gesellschaftsordnung.

Normalitätsspektrum

Was wir als normal oder anormal ansehen, ist maßgeblich von unserer Sozialisation und den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen geprägt. Patrick Bateman (gespielt von Christian Bale) kann demnach auch als ein Produkt seiner Umwelt betrachtet werden. Beispielsweise sind die im Film American Psycho dargestellten wilden Sexorgien und Drogenexzesse in den 1980er-Jahren in New York bereits gesellschaftlich inkludierte Verhaltensweisen im Normalspektrum der High Society. Diese Inklusion ist auf den sogenannten flexiblen Normalismus zurückzuführen, der ehemals gesellschaftlich inakzeptable Verhaltensweisen nach und nach ins Normalspektrum verlagert. Der Normalismus-Forscher Jürgen Link verweist darauf, dass seit Mitte des letzten Jahrhunderts eine Verschiebung der absoluten Normalitätsgrenzen „im Bereich des Sex“ stattgefunden habe. Während SM-Sex und Homosexualität vernünftigerweise heutzutage ins Normalspektrum integriert sind, liegen Vergewaltigung und ausgelebte Pädophilie folglich immer noch außerhalb des Normalspektrums in der Sphäre der Anomalien und strafbaren Gewalt- und Sexualdelikte. Normalität ist also nicht gegeben, sondern ein Produkt gesellschaftlicher Aushandlungen, die umkämpft und stets im Gange sind.

Das farblose Monster

Oberflächlich betrachtet scheint Bateman ein rundum glückliches und erfolgreiches Leben zu führen. Er ist erfolgreicher Investmentbanker, verlobt, wohnt in einem luxuriösen Loft und verfügt zusätzlich über ein attraktives Äußeres. Dadurch unterscheidet er sich allerdings nicht sonderlich von anderen Menschen der Oberschicht. Um dem Dasein im Normalspektrum der High Society entkommen zu können, begeht Bateman nun einen Mord nach dem anderen, wobei sich die Intensität der Blutrünstigkeit der Morde – dem typischen Verhaltensmuster eines Psychopathen folgend – steigert. Er repräsentiert nach Michel Foucaults Typologie der Anomalie das „zu bessernde Individuum“, das zwar „regelkonforme Züge aufweist“, aber in seiner Anomalie unverbesserlich bleibt. Seine Mordlust drängt ihn zu seinen Taten und muss gestillt werden. Zudem verkörpert Bateman ein „farbloses und banalisiertes Monster“, insofern, als dass er in den Kreisen, in denen er verkehrt, mehrfach verwechselt wird und man ihm aufgrund seiner sozialen Stellung solche Taten nicht zutrauen würde. Diese Unscheinbarkeit macht sich das zu verbessernde Individuum Foucault zufolge zunutze, um sich unbemerkt in der Mitte der Gesellschaft zu bewegen.

Hypernormalo

Der Film American Psycho stellt ein Sinnbild der Auswirkungen des flexiblen Normalismus in den westlichen Industriestaaten der Moderne dar und mit Patrick Bateman einen Protagonisten in den Mittelpunkt, der zugleich Normalität und Anomalie in sich vereint. Für die Zuschauer:innen wird er bei seinen sexuellen Eskapaden (Ménage-à-trois-Zusammenkünfte) als zunächst hypernormale Figur eingeführt, da er sich wenig für die beiden Sexualpartnerinnen interessiert und lieber über die Bedeutung von Popmusik-Werken einer Whitney Houston philosophiert. Aufgrund seines ökonomischen Kapitals und seines attraktiven Äußeren kann er solche sexuellen Erfahrungen jederzeit erleben, wodurch sie für ihn an Reiz verlieren. Folglich muss er zur Intensitätssteigerung seine Partnerinnen peinigen, was bei der zweiten Zusammenkunft mit der Sexarbeiterin „Christie“ in ihrer Ermordung und der Ermordung seiner Bekannten Elizabeth endet.

Zwar unterscheidet sich Bateman vom „normalen“ Durchschnittsmenschen durch sein hohes ökonomisches Kapital, seine Vorliebe für extravagante Marken (bspw. Designeranzüge) und teure Restaurantbesuche sowie durch die Einhaltung eines strikten Trainings-, Pflege- und Ernährungsprogramms, doch innerhalb seines sozialen Milieus bewegt er sich fernab des Spektrums der Hypernormalität. Er ist ein Normalo innerhalb der Yuppie-Szene. Seine Austauschbarkeit offenbart sich unter anderem durch die ständigen Verwechslungen seiner Person mit anderen Figuren aus seinem Umfeld. Den Höhepunkt dieses Running Gags bildet im Film die Visitenkarten-Szene, in dessen Auftakt Bateman von seinem Arbeitskollegen Paul Allen mit einem anderen Arbeitskollegen namens Marcus Halberstram verwechselt wird. Und wie Bateman selbst zugibt, ist die Verwechslung nicht verwunderlich: Halberstram und Bateman besuchen den gleichen Friseur, tragen die gleichen Valentino-Anzüge und Oliver-Peopleʻs-Brillen und arbeiten in der gleichen Position bei der Investmentfirma „Pearce & Pearce“. Bateman verzichtet darauf, die Verwechslung aufzulösen, und gibt sich bei Allen als Halberstram aus, um sich nicht die Blöße zu geben, verwechselt worden zu sein.

Allen hingegen wird als Person des Hypernormalitätsspektrums der High Society eingeführt, da er freitagabends im angesagtesten Restaurant New Yorks namens „Dorsia“ einen Tisch reservieren kann, mit dem wichtigsten Fond der Firma vertraut wurde und von den Kollegen erkannt und bewundert wird. Bateman will sich ebenfalls profilieren und zeigt stolz seine neue Visitenkarte vor, woraufhin es ihm seine Arbeitskollegen gleich tun. Der absurde Humor dieser Szene liegt darin, dass jeder sich gegenseitig übertrumpfen will, aber auf allen Visitenkarten, bis auf den jeweiligen Namen des Inhabers, das Gleiche steht und sich nur die Machart der Visitenkarten leicht unterscheidet. Trotz dieser minimalen Unterschiede steht Bateman kurz vor einem Nervenzusammenbruch, als er Allens Visitenkarte erblickt, die sogar ein Wasserzeichen aufweist. In diesem Moment fühlt er sich bedeutungslos und als einer von vielen. Um sich zu erhöhen und in die scheinbar hypernormale Zone von Allen zu gelangen, ermordet Bateman diesen brutal mit einer Axt und nimmt daraufhin in einer Art Rollenspiel dessen Identität an, indem er während einer Ménage-à-trois-Zusammenkunft dessen Namen und Wohnung benutzt und der Sexarbeiterin den Namen von Allens Freundin gibt.

Die Gründe für Allens Ermordung sind banal, aber verweisen auch auf den Frust, der sich beim gescheiterten Ausbruch aus dem Normalitätsspektrum einstellt. So versucht Bateman in einer vorangegangenen Szene telefonisch einen Tisch im „Dorsia“ zu reservieren und wird höhnisch vom Angestellten ausgelacht, da er in dessen Augen ein Niemand ist. Während des wiederholten, manischen Einschlagens auf Allens Leichnam offenbart sich Batemans gekränktes Ego, als er schreit:

Versuch jetzt mal eine Reservierung im Dorsia zu kriegen, du beschissener, aufgeblasener Mistkerl!

Film: American Psycho

Der Psycho in uns

In Batemans Figur spiegeln sich allerdings nicht nur anormale, psychopathische Züge, sondern wie der Name des Romans und Films American Psycho nahelegt, auch aktuelle gesellschaftliche Tendenzen in modernen Industriestaaten wider, wie bspw. der Drang sich zu optimieren oder ein Selbst bzw. eine Identität über Marken und Konsum herzustellen. Batemans alltägliche Routinen folgen dem neoliberalen Dogma der Selbstoptimierung und des Selbstzwangs, die allesamt auf den eigenen Körper zielen. Er hält sich an eine strenge Diät, macht jeden Tag an die tausend Sit-Ups und behandelt seinen Körper mit einer Vielzahl von kostspieligen Pflegeprodukten, um – wie Bateman selbst sagt – einem Idealbild zu entsprechen:

Es gibt eine Vorstellung von einem Patrick Bateman, die abstrakt ist. Aber es gibt kein wahres Ich, nur eine Entität, etwas Illusorisches.

Film: American Psycho

Die Oberfläche des Menschen dient als einziges Identifikationsangebot, das allerdings innerhalb einer Gesellschaft scheitern muss, die sich in der breiten Masse (Normalitätsspektrum) über Konsumgüter definiert und sich vom eigenen Ich entfremdet hat. Gerade Influencer:innen (auf youtube und instagram) verheißen in den von ihnen angepriesenen Produkten ein Identitätsversprechen, das die Konsument:innen aus der Normalitätszone heraus befördern soll, wobei sie jedoch aufgrund der Vielzahl der Menschen, die dieses Produkt ebenfalls kaufen, gleichsam in einer Normalitätszone verharren.

Erfolgreiche Fitnessprogramme (Bosstransformation), Motivationsvideos, Coachings und Bücher (Das ist Alpha!) wie die des deutschen Rappers Kollegah (bürgerl. Felix Blume) zeigen, dass sich dieses Dogma längst gesellschaftlich etabliert hat. Sie drängen allesamt auf die Selbstoptimierung der Menschen und verfolgen das neoliberale Ammenmärchen des „Jede:r-kann-es-Schaffens“, unabhängig davon, welche psychische und physische Konstitution man besitzt oder welche ökonomischen und sozialen Voraussetzungen im eigenen Leben vorherrschen. Für beide Endresultate, Erfolg oder Misserfolg, trägt man selbst die alleinige Verantwortung.

Bateman, der im Übermaß diesem neoliberalen Ideal eines erfolgreichen und attraktiven Lebemanns entspricht, stellt fest, dass seine innere Leere weder durch totale Selbstoptimierung noch durch übermäßigen Konsum von Luxusgütern gefüllt werden kann. Er ist letztlich eine identitätslose Gestalt, die entfremdet von ihrer Umwelt ihr Dasein fristet. Die Vorfreude auf und das Morden an sich scheinen die einzigen Momente in Batemans Leben zu sein, die ihn die Sinnlosigkeit seiner Existenz vergessen lassen und ihn in Ekstase versetzen. Sein Lustgewinn an Gewalt, die sich primär gegen Frauen richtet, aber auch gegen Wohnungslose, sind typologische Kennzeichen toxischer Männlichkeit – einem Selbstverständnis folgend, dass Männer sich in einer superioren Position befinden und in einer patriarchalen Gesellschaft legitimiert sind, Gewalt gegen vermeintlich Schwächere auszuüben.  

Die unaufhaltsame Denormalisierung

Interessanterweise bildet sowohl der Film als auch der Roman American Psycho nicht den typischen Verlauf einer Denormalisierungsfahrt ab, wie ihn Jürgen Link als prototypisch kennzeichnet. Es kommt nicht zum totalen Crash, zum Suizid oder zur Verhaftung, sondern zu keinerlei Konsequenzen, wie Bateman selbst am Ende des Films resümiert:

Es gibt keine Grenze mehr zu überschreiten. Alles, was ich gemeinsam habe mit dem Unkontrollierbarem und Krankem, dem Gemeinem und Bösen und alles Schlimme, das ich verursacht habe, und meine totale Gleichgültigkeit demgegenüber, habe ich nun übertroffen. Mein Schmerz ist gleichbleibend und heftig und ich hoffe für niemanden auf eine bessere Welt. Ich möchte sogar, dass mein Schmerz auch anderen zugefügt wird. Ich will, dass niemand davonkommt. Aber selbst, nachdem ich das zugebe, gibt es keine Katharsis. Meine Bestrafung entzieht sich mir weiterhin und ich komme zu keinen tiefen Einsichten über mich selbst. Aus meinem Erzählen kann kein neues Wissen herausgeholt werden. Dieses Geständnis war völlig bedeutungslos.

Film: American Psycho

Wiederholt spricht Bateman offen über seine Mordlust und Taten, aber niemand aus seinem direkten Umfeld hört ihm zu. So erwähnt Bateman Allen gegenüber, dass er gerne Frauen seziere und ob Allen wisse, dass er wahnsinnig sei. Zudem zeichnet er auf die Tischdecke eines Restaurants den Mord an einer Frau nach, den er mittels einer Kettensäge beging, und gesteht seiner Noch-Verlobten sein unstillbares Mordverlangen, doch sie bemerkt weder die Zeichnung noch hört sie ihm zu. Auch das Geständnis aller Morde gegenüber seinem Anwalt verpufft und bleibt folgenlos. Es ist eindeutig, dass die Menschen in seinem Umfeld ebenfalls entfremdet von ihrer Umwelt leben und nicht fähig sind, resonante Beziehungen aufzubauen.

Die Denormalisierung des Protagonisten wird deshalb nicht gestoppt, sodass sich dessen wahnhaften, erfolglosen Fluchtversuche vor der Normalität fortsetzen können. Bateman ist sich zwar der Sinnlosigkeit seiner Taten bewusst, aber der unverbesserliche Psychopath ist in einem Teufelskreis gefangen, in dem seine Morde immer brutaler werden müssen, um der Normalität und Bedeutungslosigkeit für zumindest einen Moment zu entfliehen. Eine auf Oberflächlichkeiten, Materialismus, Konsum und Selbstzwang beruhende Gesellschaftsordnung produziert Anomalien und das Verlangen, aus dieser Gesellschaftsordnung auszubrechen. Aus der hybriden Figur des Patrick Bateman, die Anomalie und Normalität in sich vereint, leitet sich eine düstere Gesellschaftsdiagnose ab, die an Aktualität nicht eingebüßt hat und offen lässt, wie mit den Konsequenzen des flexiblen Normalismus umgegangen werden soll.

Instagram
Twitter
Visit Us
Follow Me
Follow by Email