Twist Villains
Ob John Silver in Der Schatzplanet oder der Imperator in den Star Wars-Prequels, es ist in Mode gekommen, dass sich das Übel bedeckt hält, bis die Zeit reif ist. Studios wie Disney und Pixar haben viel aus diesem Trend heraus gequetscht mit unterschiedlichem Erfolg. Zwar bestand irgendwann die erste Reaktion auf twist villains in einem erschöpften Augenrollen, aber verschwunden sind sie nicht. Da lohnt sich die Frage, was sie zu solchen macht und besser noch: was macht sie gut?
Kleine Spoilerwarnung für Invincible (2021)
Wie für die Fragen des Lebens gilt auch hier: Es gibt keine richtige Antwort, aber Hinweise darauf, was twist villains ausmacht. Viele Autor:innen scheitern an ihnen, selbstverständlicher Weise. Ein guter twist villain braucht einen guten villain als Grundlage; die Rolle wird genommen und verkompliziert. So einer braucht, um effektiv zu sein, neben der benötigten Relevanz für den Plot und dubiosen Eigenschaften, einen Anlass für die Antagonie und sowohl Entschlossenheit als auch Skrupellosigkeit, um seine Ziele durchzusetzen. Was auch immer der Grund ist, die eigenen Bedürfnisse werden zum Schaden anderer an erste Stelle gesetzt (zumindest definiere ich so the bad ones). Einige der markantesten Namen in der Filmgeschichte, zumindest im Bereich Animation, zeigen, warum es keine universelle Formel geben kann: Malefiz aus Dornröschen (1959) z.B. besitzt keine explizite Motivation. Sie hat einen Heidenspaß daran, Böses zu tun und muss keine Konsequenzen fürchten. Warum sich also anders verhalten? Eindimensionale Bosheit ist jedoch mit der Zeit anspruchslos geworden und Vielschichtigkeit en vogue, was twist villains nicht nur den Weg frei, sondern notwendig macht.
Obwohl der Name es anders impliziert, haben wir es nicht einfach mit Bösewichten mit einer Wendung zu tun. Jene muss darin bestehen, dass eine sinistre Seite offenbart wird. King Candy in Ralph Reichts wird nicht erst als Gegenspieler eingeführt, wenn ersichtlich wird, wer er wirklich ist; es vertieft nur seinen Charakter und knüpft an lose Fäden an. Die Wendung ist das Schwierigste, denn wie bei jeder anderen Rolle auch braucht es Glaubwürdigkeit: Man muss der Figur abnehmen können, dass sie der böse head honcho ist und sein kann in einer Art und Weise, die zu ihr passt. Sie muss innerhalb der Grenzen bleiben, die für sie festgelegt wurden, was bedeutet, dass der twist nicht aus dem Nichts kommen darf. Gleichzeitig muss bis zum Moment der Entscheidung zwar vorbereitet, aber davon abgelenkt werden, dass die Figur mehr ist, als sie scheint.
Ein infames Beispiel stellt Hans im Disneyfilm Die Eiskönigin dar. Seine Verlobte Anna überträgt als Regentin in Abwesenheit der Königin, ihrer Schwester Elsa, Vollmächte an ihn. De facto ist er König und steht kurz davor, einer de jure zu sein. Wenn er Elsa tötet, die mit ihrer Magie das Land im ewigen Winter hält, raubt er Anna, die sich in eine Eisstatue verwandelt, alle Hoffnung aufs Überleben und kann als neuer Volksheld das resultierende Machtvakuum mühelos füllen. Sein reveal ist nicht notwendig, sondern kontraproduktiv, weil er nun als Bedrohung wahrgenommen wird, vor allem aber unvorbereitet. Den Plan, sich die Macht zu erschleichen, nennt Hans als Grund, warum er nach Pseudo-Norwegen kam, doch findet sich kein Marker, der dies bestätigt oder unterstützt. Entweder steckt in Hans der beste Schauspieler seiner Zeit oder der Film wälzt Erklärungsarbeit an das Publikum ab, die er hätte selbst tun müssen, um auf narrativer Ebene Sinn zu ergeben. Hans zu verbessern ist peinlich einfach: Statt zu behaupten, Macht sei von Anfang an seine Motivation gewesen, hätte er sagen können, dass er erkannt habe, wie wenig ihn von der Krone noch trennt und sei zur Entscheidung gelangt, diesen relativ winzigen Schritt zu tun. Die romantischen und selbstlosen Züge, die er bis zu dem Moment zeigt, wären dann so ehrlich wie sie vorgeben zu sein, was seinen Verrat nur verstärken würde. Hans wirkt wie eine Addition in letzter Minute, so oberflächlich ist er implementiert. Scheinbar besteht die Überzeugung, die Geschichten könnten ohne klar auszumachendes Übel nicht funktionieren. Gegen die Hilflosigkeit angesichts z.B. mystischer Kräfte, die alles zerstören könnten, was man liebt, oder einem Usurpator, der einem alles nimmt, was man liebt, anzukommen und sie zu überwinden (ein Thema, das Die Eiskönigin verfolgt), ist wohl zu abstrakt oder nachvollziehbar, um an Kinder einfach so verkauft werden zu können.
Ein frisches Beispiel für einen twist villain dürfte Omni-Man aus der Serie Invincible sein. Wer sagt, es muss das Publikum sein, dem enthüllt wird, was hinter der Fassade los ist? Es wird zur stillschweigenden Zeugenschaft verdammt, zum Komplizen verkehrt, denn nur die Zuschauenden, Omni-Man und seine Opfer kennen die Wahrheit. Nur sie trauen ihm zu, ein Massenmörder zu sein, der Menschen wie Fliegen sieht, Klatsche in der Hand, statt eine Superman-Persona. Die unvermeidbare Offenbarung trifft seinen Sohn genauso wie seine Fäuste; ein zu Tode gememeter Moment.
Alfred Hitchcocks Psycho dürfte die Quintessenz eines twist villains enthalten. Das MacGuffin des Films, ein von Hitchcock geprägter Begriff, führt die Hauptfigur nicht nur an den Ort der Handlung, sondern lenkt wie ein red herring vom tatsächlichen Plot ab. Unter diesem Deckmantel kann nicht nur Spannung, sondern auch die falsche Identität des Mörders aufrechterhalten werden. Auf sie wird mit Länge und Winkel von Kameraeinstellungen, wie auch subtilen schauspielerischen Leistungen hingewiesen. Ein Gefühl von Unbehagen entsteht und die sich preiszugebende Figur umgibt eine unheilvolle Aura. Sie wirkt verdächtig und ist es deswegen auch, obwohl sie sich nichts zu Schulden kommen lässt, außer unheimlich zu sein. Bis das set up sein pay off erhält und der Verdacht seine Rechtfertigung.