Literatur, nachgelesen

„Ein Professioneller Lump“- Portrait über Hunter S. Thompson (Teil 2)

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Hunter S. Thompson wäre ein guter Reporter geworden, wäre da nicht das Kentucky Derby 1970 gewesen. Lest hier im zweiten Teil des Portraits, wie der verrückte Outlaw-Autor unabsichtlich einen neuen journalistischen Stil erfand. 

Thompson sollte für die Scanlan’s Monthly von dem berühmten Pferderennen berichten und machte sich dadurch einen Namen als herausragendster und erster Vertreter des Gonzo-Journalismus. Schuld an dem unfreiwillig geschaffenen Subgenre des New Journalism war eine der Deadlines die Thompson, wie so oft, im Nacken saß. Die Illustrationen von seinem Freund Ralph Steadmen waren fertig und das Cover gedruckt, was fehlte war der Text. Schließlich kommt Thompson auf die alles entscheidende Idee: Seiten aus seinen Notizbüchern herauszureißen und als Artikel an den Drucker zu geben. Während Thompson glaubte, dass diese Kaltschnäuzigkeit das Ende seiner Karriere bedeuten würde, feierte man den Artikel nach erscheinen als Durchbruch im Journalismus. Gonzo war geboren. Die Namensgebung geht auf den amerikanischen Journalisten Bill Cardoso zurück, der Thompsons The Kentucky Derby Is Decadent and Depraved als „pure Gonzo“ bezeichnete. Dem Schriftsteller gefiel einfach der Klang des Wortes, das häufig mit exzentrisch und verrückt übersetzt wird. 

Gonzo – so involviert wie nur möglich

Den unfertigen Text mit seinen eigenen, vor Ort gemachten Notizen anzureichern, verlieh dem beschriebenen Geschehen eine so starke Subjektivität, an die selbst Schriften des New Journalist Tom Wolfe nicht herankamen. Nachdem Thompson berichtet, wie er in Kentucky ankam, sich versuchte mit einem falschen Presseausweis einen Mietwagen und Schlafplatz in der komplett überfüllten Stadt zu erschleichen und schließlich auf Ralph Steadman traf, kündigt er die folgenden Seiten bestehend aus seinen Notizen folgendermaßen an: Ab dem Zeitpunkt, wo sie sich auf den Weg zum Großen Rennen machten, verloren sie die Kontrolle über die Ereignisse und verbrachten das restliche Wochenende auf einem Horrortrip, „aber insgesamt scheinen mir die Notizen – zusammen mit gelegentlichen Erinnerungsfetzen – die Geschichte wiederzugeben. Ungefähr so:“ Es folgt ein alkoholgeschwängerter Ritt durch Thompsons Gedanken. 

Während sich Tom Wolfe und Truman Capote als New Journalists einen Namen und die Strömung des New Journalism zu einer anerkannten, viel beschriebenen Reportagenform machten, wird der Gonzo-Journalismus stets als dessen Subgenre gesehen. Vielleicht, weil es viele versuchten, doch niemand wirklich an die Schreibweise des irren Gonzovaters heranreichte. Indessen gibt es viele Vertreter des neuen, subjektiven Journalismus, auch Thompson wird ab und an zu ihnen gezählt. Er selbst hält seinen Stil für eine Variante der neuen Strömung und sieht einige Unterschiede. So betont er in vielen Interviews kein Reporter, sondern Schriftsteller zu sein, was ihm bei seinen häufig zu Romanen ausufernden Reportagen nicht abgesprochen werden kann. Dennoch schreibt er keine Geschichten auf herkömmliche Weise. Anders als die New Journalists setzt er sich selten an einen Schreibtisch und rekonstruiert rückwirkend eine Story, bei der er selbst anwesend war. Man müsse in dem Augenblick schreiben, in dem man es erlebt, und zwar so involviert wie nur möglich, beschreibt Thompson sein Vorgehen. 

Fear and Loathing in Las Vegas

Seine extremen (Drogen-) Exzesse, die supersubjektive Erzählweise, eine Mischung aus Fakten und Fiktion ist nirgendwo besser vereint als in seiner wohl bekanntesten Reportage. Vor der Veröffentlichung 1971 schrieb Thompson in einem Waschzettelentwurf für das Buch: „Fear and Loathing in Las Vegas wird man als ein unkontrolliert hemmungsloses Experiment zu den Akten legen müssen, als eine gute Idee, die auf halben Wege in Wahnwitz umschlug … als ein Opfer ihrer eigenen konzeptionellen Schizophrenie, gefangen & schlussendlich zum Krüppel gemacht in jenem eitlen, akademischen Niemandsland zwischen »Journalismus« & »Dichtung«.“ 

Wirklich geplant waren vor der ersten Vegas-Reise 250 Wörter über das Mint Motorradrennen für die Sports Illustrated. Thompson lieferte 2500 Wörter, die abgelehnt wurden. Doch das war zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr wichtig. Von Anfang an hatte er sich Notizen zu der Reise mit seinem Freund Oscar Acosta gemacht, die er sechs Monate später unter dem Titel Fear and Loathing in Las Vegas als selbsternannten „verächtlichen Nachruf auf die Drogenkultur der Sechziger“ veröffentlichte. Allerdings sieht er sein meist gefeiertes Gonzo-Werk als gescheitertes Experiment an. Der Plan, das von ihm gefüllte Notizbuch ohne spätere redaktionelle Bearbeitung als fertiges Manuskript einzusenden, wurde Opfer seines eigenen Anspruchs. 

Von der Ökonomie der Wörter

Der Autor, der schon als Jugendlicher Texte von bekannten Schriftstellern abtippte, um von ihnen zu lernen, erwischte sich dabei, seinen Vegas-Notizen einen „dichterischen Rahmen“ verpassen zu wollen. Gleichzeitig strebte er eine Textlänge beziehungsweise -kürze an, die mit F. Scott Fitzgeralds 55000 Wörter umfassenden The Great Gatsby konkurrieren könnte. Die Ökonomie der Wörter, die sich Thompson von Ernest Hemingway angeeignet hatte, wurde zu einem wesentlichen Grundprinzip des ‚King of Gonzo‘. „Ich habe immer gekämpft, keine überflüssigen Wörter zu verwenden“, verriet er in einem Interview, dennoch gelang es ihm nicht, sich so kurz zu fassen wie seine Vorbilder.

Zwischen Fakten und Fiktion 

Exzess und Extrem sind wohl nirgendwo so deutlich beschrieben wie in Thompsons Vegas-Reportage. Die Aufzählung der mitgeführten Drogen zu Beginn des Romans ist legendär und reicht von zwei Beuteln Gras über extrastarkes Acid und Kokain bis hin zu einem halben Liter unverdünnten Äther. Wem hier noch nicht angst und bange ist, dem werden die restlichen Seiten des Romans das Fürchten lehren, in denen Thompson und Acosta auf einem wahnwitzigen Drogentrip dem amerikanischen Traum hinterherjagen. 

Doch wie steht es um den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte und wer ist das ‘Ich’ in Thompsons Reportagen? „Zweimal im Jahr sollte man seine verdammten Rohre mit einer satten Portion echt guten Acids durchpusten. Nimm dir 72 Stunden Zeit und lauf total Amok, reiß alles nieder.“ Thompsons Einstellung zu Drogen könnte kaum deutlicher werden als in diesem Zitat. Die Polizei sei sein einziges Drogenproblem: „Jeder, der 20 Jahre lang sein Thema verfolgt – und das Thema ist »Der Tod des amerikanischen Traums« –, braucht jede gottverdammte Krücke, die er finden kann. Außerdem mag ich Drogen. Das einzige Problem dabei sind die Leute, die mich von ihrem Konsum abhalten wollen.“ Er gibt Anfang der 2000er zwar zu, Schwierigkeiten mit Alkohol und Drogen gehabt zu haben, sieht seine Arbeit aber dennoch darin bestätigt, dass, solange seine Texte gedruckt und er bezahlt wird, Rauschgifte ein legitimes Produktionsmittel sind. Auf die Nachfrage eines Journalisten, was Thompson von der Aussage anderer Schriftsteller halte, die alle behaupteten unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen nicht schreiben zu können, entgegnet dieser: „die lügen“. 

Wie wahr die Erlebnisse in Las Vegas unter seinem Alias Raoul Duke stattgefunden haben, kann wohl niemand eindeutig bewerten. Lüge und Wahrheit, Fakt und Fiktion scheinen bei Thompson keine feststehenden Parameter zu sein und sich je nach Laune und Jahrzehnt zu verändern:

„Ich bin ein großer Fan der Realität. Die Wahrheit ist leichter. Und bizarrer. Und lustiger. […] auf die Wahrheit kann man zurückgreifen. Auf eine erfundene Story kann man nicht zurückgreifen […] Ich bin faul. Wenn ich eine Tatsache habe, dann muß ich mich nicht darum sorgen, ob ich das richtig gemacht oder angemessen ausgedrückt habe.“

Allerdings seien viele Fakten auch weitaus verrückter als alles, was er sich je ausdenken könnte. Auf die Frage, wie viel an dem Vegas-Buch wahr ist, antwortet Thompson 1993, dass „fast alles davon wahr [sei] und wirklich passierte.“ Er habe ein paar Dinge verdreht, aber es sei ein ziemlich genaues Bild der Ereignisse entstanden. Im gleichen Satz spricht er jedoch auch davon, dass echter Gonzo-Journalimus hinterher bearbeitet werden müsse. Während er Fear and Loathing in Las Vegas in seinem dazugehörigen Waschzettelentwurf noch als gescheitertes Gonzo-Experiment ansieht, gerade weil er es später noch bearbeitet hat.  

Beschäftigt man sich eingehend mit Thompson wird klar, dass bei ihm eben nichts klar und eindeutig ist. Damit ist nicht sein häufig von Alkohol und Drogen umnebelter Verstand gemeint. Besonders bei seinen Äußerungen zum eigenen Schreibstil und -prozess ergeben sich immer wieder Ambivalenzen. Zum Ende seines Lebens versucht er sich sogar von der Journalismus-Strömung, für dessen Kreation er so gefeiert wurde, zu distanzieren und behauptet, er habe „sowieso nie gewußt, was zum Teufel Gonzo bedeutet.“ 

Politischer Journalismus in Gonzo-Manier

Kaum ein zweiter, der sich als Anarchist bezeichnet, ist wohl zugleich so tief politisch wie Thompson. Der Soldat des Glücks oder der professionelle Lump, wie er sich selbst nennt, war auch ohne den Sheriff-Posten in Aspen inne zu haben, für den er 1970 kandidierte, ein politischer Akteur. Er habe „Journalismus immer als politisches Handeln verstanden.“ Nimmt man diese Aussage zusammen mit der Feststellung, dass ihn Politik nur im Sinne von Selbstverteidigung interessierte, ist sein journalistischer Kreuzzug gegen die Machtelite Amerikas ergründet. Objektiven Journalismus sieht Thompson als Grund für die korrumpierte Politik der amerikanischen Regierung und geht ihm und ihr mit „Hammer und Zange“ an den Kragen.

Als ebenso ein Outlaw wie die von ihm portraitierten Hells Angels hetzt er gegen Nixon und Clinton, Bush Senior und Bush Junior und jeden anderen aus dem politischen Machtapparat. Wenn er Richard Nixon als Werwolf, Schinder und raubgierigen Halunken beschreibt, kommt der 37. Präsident der Vereinigten Staaten noch gut dabei weg. Clinton sei der „bestrafenswütigste Präsident aller Zeiten“ und einfach nur „weißer Abschaum“. Wen es von den Bush-Männern am härtesten traf, ist schwer zu entscheiden. Über den Vater sagte Thompson vor einer Gruppe von Studenten: „Er gehört zu Tode getrampelt, und ich bin dabei.“ Verglichen mit George W. Bush ernennt er seinen Lieblingsfeind Nixon zu einem Liberalen und setzt den Sohn des ehemaligen Amtsinhabers an die Spitze der schlechtesten Präsidenten der amerikanischen Geschichte. Unter Bush Junior habe sich das Regierungssystem zu einem der gefährlichsten der Welt „seit Adolf Hitler“ entwickelt. 

Thompsons politischer Schreibstil gilt als kommentierend, phantasierend und teilweise irres Geschwätz. Zu letzterem Vorwurf äußert sich der Gonzo-Journalist in einem Interview: „Über Politik zu schreiben würde mein Hirn paralysieren, wenn ich nicht ab und an einen Funken bizarren Humors aufblitzen lassen kann.“ Womit er auf eine Story verweist, in der er geschrieben hatte, der Präsidentschaftskandidat Edmund Muskie würde eine exotische Form südamerikanischen Speeds nehmen. Thompson war erschrocken und amüsiert, dass selbst langjährige Begleiter des Politikers diese Aussage für wahr hielten.

Der Tod des amerikanischen Traums

Thompson spricht sich immer wieder gegen Politikverdrossenheit aus und gibt in einem Interview von 2003 zu bedenken, dass Freiheit eine Sache sei, die stirbt, wenn man sie nicht nutzt. Er ist der festen Überzeugung, dass seine Generation die Welt schlimmer hinterlassen wird, als sie sie vorgefunden hat. Hunter S. Thompson hat seine Freiheit definitiv genutzt und mit seinem selbstbestimmten Tod die Welt, wie er es meint, zum Ende des amerikanischen Jahrhunderts verlassen. Für einen Mann, der sein Leben lang dem amerikanischen Traum hinterherjagte und ihn gleichzeitig seit den 70er Jahren für tot erklärte, behielt er sich stets eine bitterböse, humoristische Sicht auf sein Heimatland. Der gesamten Nation attestiert er einen „Auslandskriegsfetisch“ und beendet seine lebenslange Beobachtung der amerikanischen Gesellschaft mit den folgenden Worten: „Sie [die Bush-Wähler] sind der Inbegriff all dessen, was am amerikanischen Charakter grausam und dumm und gemeingefährlich ist. […] Scheiß auf sie alle.“

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