Literatur, nachgelesen

„It never get weird enough for me“ – Portrait über Hunter S. Thompson (Teil 1)

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Die Grabsteininschrift lässt so einiges über den amerikanischen Ausnahmeschriftsteller vermuten. Heute vor 16 Jahren zündete Johnny Depp eine Kanone gefüllt mit Hunter S. Thompsons Asche. Anstelle eines Begräbnisses erhielt der ‚King of Gonzo‘ damit sein selbst gewünschtes Himmelfahrtskommando.

„67. Das sind 17 Jahre nach 50. 17 mehr als ich brauchte oder wollte. Langweilig.“ So schrieb Hunter S. Thompsons in einem Abschiedsbrief an seine Frau Anita, bevor er sich am 20. Februar 2005 das Leben nahm. Eine Kugel in den Kopf jagte, hätte es von ihm selbst wohl geheißen. Der amerikanische Journalist, Schriftsteller und Waffenliebhaber war ein Mann der Extreme und führte alles andere als ein geruhsames, langweiliges Leben. Stets selbst davon überrascht, sich nach all den Exzessen und politischen Affären der 60er und 70er Jahre noch bester Gesundheit zu erfreuen, wählte er den Freitod wohlüberlegt und nicht aus Verzweiflung. Mit 67 war es für ihn einfach Zeit zu gehen: „Keine Spiele mehr. Keine Bomben mehr. Kein Laufen mehr. Kein Spaß mehr. Kein Schwimmen mehr“, resümiert Thompson in seinem letzten Brief. Dies galt vielleicht für ihn; seine Hinterbliebenen, Freunde und Wegbegleiter unterhielt der ‚King of Gonzo‘ jedoch selbst noch auf der Trauerfeier.

Der 20. August 2005

Gummipuppen, Feuerwerk und massenweise Alkohol – was sich nach Junggesellenabschied oder einem ausufernden Silvesterabend anhört, war Bestandteil von Thompsons selbst geplanter Todesfeier. Bizarrer noch als der Anblick der Gummipuppen dürfte den etwa 300 Trauergästen eine 47 Meter hohe Rakete in Form der Gonzo-Faust erschienen sein. In dem Monument war eine Kanone eingebaut, die Johnny Depp, ein guter Freund des Verstorbenen, zündete. Anstatt eines Begräbnisses, an dessen Sinn der unreligiöse Thompson nicht glaubte, bekam er eine Himmelfahrt wie Jesus. Denn in der Kanone war seine Asche den Patronen beigemischt und wurde so am 20. August 2005 nahe seiner Farm in die Luft geschossen. Auf die Frage, wie er am liebsten sterben würde, antwortete Thompson schon 1994 in einem Interview: „Explodieren.“ Mit Pauken und Trompeten oder eben mit Feuerwerk und Whiskey wurde so einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts verabschiedet. Einen Grabstein gab es trotz Raketen-Bestattung dennoch. Thompson war Veteran der US Air Force und hatte daher ein Anrecht auf einen von der Regierung finanzierten Grabstein. Die Inschrift lautet: „It never get weird enough for me“.

Furcht als Begleiter

Aufgewachsen ist Hunter Stockton Thompson in Louisville, der größten Stadt Kentuckys. Er wurde am 18. Juli 1937 als erster von drei Söhnen geboren. Sein Vater brachte aus erster Ehe noch einen älteren Sohn mit in die Familie und starb als Thompson 14 Jahre alt war. Wenn der Schriftsteller an seinen Dad denkt, hat er eine ganz bestimmte Erinnerung im Kopf: Wie sein Vater abends mit einem Whiskey vor dem Radio saß, Kriegsnachrichten hörte und auf die Sofalehne eindrosch. Kein anderes Familienmitglied wollte dann in seiner Nähe sein, doch der vierjährige Hunter teilte diese spezielle Neigung in geheimer Freude mit seinem Vater. „Es machte mir Spaß, und ich erinnere mich noch immer gern an die Stunden, in denen wir nebeneinander vor dem Radio kauerten, mit unserem Whiskey und unserem Krieg und der Furcht“, schrieb Thompson in seinen inoffiziellen Memoiren Kingdom of Fear. Die Furcht war sein ständiger Begleiter und Namensgebend für viele seiner Schriften. Doch anstatt sich von der Angst vor Kriegen, dem Untergang der amerikanischen Politik und Gesellschaft oder Drogenpsychosen lähmen zu lassen, rannte er mit offenen Augen in jede Katastrophe. Denn sein Vater lehrte ihn: „Kehre der Furcht nie den Rücken zu. Sie sollte sich immer vor dir befinden wie etwas, das vielleicht getötet werden muss.“

„Man lehre ein Kind, gern zu lesen, und es geht seinen Weg“

Gewalt und Whiskey, Krieg und Furcht. Die Karriere des kleinkriminellen Trunkenboldes scheint vorgezeichnet und so überrascht es nicht, dass Thompson bereits mit 15 Jahren im Gefängnis saß. Er bezeichnet sich selbst als kleinen Gauner-Jungen, der zwischen 15 und 18 laufend verhaftet wurde. Er klaute Schnaps, warf ein Ölfass durch die Scheiben einer Tankstelle und ließ schon mit neun Jahren einen Briefkasten vor einem heranfahrenden Bus auf die Straße stürzen. Um dem gehässigen Busfahrer eins auszuwischen, weil der ihm morgens oft vor der Nase wegfuhr. Doch „man lehre ein Kind, gern zu lesen und es geht seinen Weg“, das Motto, welches er in der Erziehung seines Sohnes Juan anwendete, bekam Thompson selbst früh mit auf den Weg gegeben. Hier war es seine Mutter und ihr Job als Bibliothekarin, die ihn prägte. Auf die Frage, ob ihm jemand in der Kindheit laut vorgelesen hätte, antwortet er in einem Interview: „Ja, meine Mutter. Unsere Familie liebte Geschichten […] das Haus war voller Bücher. Es gab keine Wand im Haus, an der kein Regal war. […]Ein Bibliotheksausweis war eine Fahrkarte. Ich las jedes gottverdammte Buch.“ Das erste Buch, das er sich erinnert gelesen zu haben, war das Kinderbuch The Goops. Es waren kleine Gedichte über die Goops, die keinerlei Manieren besaßen und die Kinder lehrten, wie man nicht zu sein hatte. Der junge Hunter erkannte sich in den kleinen Querulanten wieder und schämte sich, wie sie zu sein. Doch sich etwas von den Unterweisungen annehmen, wollte er offenbar nicht. Oder aber ein Gedicht über Schulschwänzerei, gab es nicht. Jedenfalls befand der jugendliche Thompson, dass es außerhalb der Schule mehr für ihn zu lernen gab. In der High School wurde er Mitglied der Athenaeum Literary Association, ein Club für literaturbegeisterte Schulschwänzer in dem auch Porter Bibb, der erste Herausgeber des Rolling Stone, mitmachte. Sie trafen sich, um zu lesen: Platos Höhlengleichnis, Nietzsche. „Es war hart, aber wenn man die Schule schwänzt, dann liest man, um sich Macht anzueignen und um einen Vorteil davon zu haben“, erinnert sich der spätere Schriftsteller.

Aus dem Knast zum Militär

Aus dem Leseclub wurde Thompson aufgrund eines Gefängnisaufenthalts allerdings rausgeworfen. So fing er nach seiner Haftstrafe einen Sommerjob bei einem Autohändler an und kam durch die fahrlässige Zerstörung eines Autos zur US Air Force – wie die Jungfrau zum Kinde. Aus Angst, sich seinem Chef stellen und den Unfall beichten zu müssen, vertrat er sich die Beine und landete im Air Force Musterungsbüro. Den Pilotentest bestand er mit 97 Prozent und durfte sich gleich am nächsten Montag in der Pilotenschule der Lackland Air Force Base in Texas einfinden.

Der anarchische Freigeist beim Militär? Das ging drei Jahre mehr oder weniger gut, bis er 1957 die Air Force als ‚Airman First Class‘ wieder verließ. Er habe zwar Talent, es mangele ihm aber an Disziplin, schrieb sein Offizier ins Führungszeugnis. Doch ohne diesen kurzen Ausflug zur Luftwaffe hätte es den berühmt berüchtigten Journalisten Hunter S. Thompson vielleicht nicht gegeben. Da er als Pilot abgelehnt wurde und auch nicht als Elektriker arbeiten wollte, wozu er danach ausgebildet wurde, suchte er sich einen Job bei der Stützpunktzeitung Command Courier. Fortan schrieb er als Redakteur, nicht nur über die Football Mannschaft der Air Force Base, sondern auch „echt aufrührerisches Zeug“ in der örtlichen Playground News – natürlich verbotener Weise. „Ich machte ständig Sachen, die irgendwelche Regeln verletzten“, erinnert sich Thompson in einem Interview an seine Zeit beim Militär zurück.

Journalist oder Autor?

Bereits mit 16 Jahren wollte er Journalist werden, da der Beruf einem erlaubte zu lernen und dafür bezahlt zu werden. Zudem faszinierte ihn die Unmittelbarkeit der Arbeit und seinen Namen irgendwo gedruckt zu sehen. Erlernt hat er das Handwerk schnell und autodidaktisch. Er ging in die Stützpunktbibliothek und fand drei Bücher über Journalismus. „Ich blieb dort und las, bis sie schloss. Journalisten-Einmaleins. Ich erfuhr etwas über Schlagzeilen, Leitartikel: Wer, wann, was, wo, solche Sachen.“ Mehr brauchte es nicht. Auch wenn ihn die Mischung aus Talent und Undiszipliniertheit bei der Air Force nicht weiterbrachte – genau dieser Mix wurde der Grundstein seines journalistischen Schaffens.

Bekannt war Thompson als Waffennarr und Demokrat, schärfster Kritiker der US-amerikanischen Regierung und zugleich Kandidat für den Sheriffposten in Aspen, Journalist der eigentlich lieber Autor werden wollte und nebenbei quasi aus Versehen einen neuen journalistischen Stil prägte. Seine extreme Lebensweise und Haltung machten ihn zu einem herausragenden Schriftsteller und Journalisten. Schreibstil und Lebensstil sind bei ihm eine Einheit, so widersprüchlich seine Handlungen und Aussagen auch manchem erscheinen mögen. Er sah den Journalismus als Fahrkarte auf dem Weg zum Schriftstellertum, doch den Spaß an der Beschaffung des Tickets hat er nie verloren und blieb seinem Handwerk stets treu. Mehr noch, er verschmolz die beiden Schreibkünste zu einer: Journalismus mit Fiktion, Literatur mit journalistischen Fakten: Gonzo.

Wenn ihr mehr über Gonzo und Hunter S. Thompsons Werke erfahren wollt, schaut doch einfach nächste Woche wieder hier vorbei. Dann folgt der zweite Teil des Portraits, in dem es u.a. um sein wohl bekanntestes Buch Fear and Loathing in Las Vegas geht.

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