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Nachruf auf Daniel Dumile alias MF DOOM

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An Silvester letzten Jahres wurde der Tod von Daniel Dumile, besser bekannt unter seinem Künstlernamen MF DOOM, bekanntgegeben. Dumiles Schaffen prägte vor allem die Untergrund-Hip-Hop-Szene aber auch musikalische Größen wie The Weeknd, Ghostface Killah, Lupe Fiasco, Tyler The Creator oder Thom Yorke. Ein Nachruf auf den selbsternannten Supervillain, der auch hinter die metallene Maske des Rappers und Produzenten blickt.

Die Entdeckung

Es war einer dieser üblichen Abende im Jahr 2009. Ein Freund und ich hingen zusammen ab, er zeigte mir wie so oft musikalische Geheimtipps von Mars Volta bis hin zu einem Produzenten und Rapper namens Madlib, der mit seiner hochgepitchten Stimme eine Alienschweinehundfigur erschuf und rappen ließ. An jenem Abend spielte er mir dessen Kollabo-Album Madvillainy mit dem Rapper/Produzenten MF DOOM vor. Vielleicht war es eine jener Hörerfahrungen, die frühere Generationen bei Miles Davis‘ Bitches Brew oder Pink Floyds The Dark Side of The Moon verspürten. Ein Meisterwerk: Verrückte jazzige Samples, pure raue Energie, abgespacte Beats, auf denen MF DOOM sein A-Game auspackte. Ausgefuchste Reimketten und Binnenreime en masse, wie im Song Figaro, ließen mich hypnotisch und perplex meinen Kopf nicken:

It’s too hot to handle, you got blue sandals
Who shot ya? Ooh got you new spots to vandal?
Do not stand still, both show skills
Close but no krills, toast for po‘ nils, post no bills
Coast to coast Joe Shmoe’s flows ill, go chill
Not supposed to overdose No-Doz pills

Madvillain – Figaro

Der künstlerische Kosmos

Das war meine Einführung ins Werk von Daniel Dumile aka MF DOOM, der seine Musik unter zahlreichen Pseudonymen veröffentlichte: Zev Love X, DOOM, King Geedorah, Viktor Vaughn oder eigens für seine Instrumental-Reihe auch Metal Fingers. Dumile kreierte einen eigenen Rap-Comic-Kosmos, in dem jedes Pseudonym einen eigenen Charakter in dieser Welt darstellt. Bei bloßen Namensänderungen blieb es nicht, denn Dumile änderte je nach Charakter seine Reim- und Flowstruktur und schaffte damit eine hörbare Distinktion zwischen seinen Aliassen. 

Doch wer sind die verschiedenen Charaktere? MF DOOM, Dumiles bekanntestes Pseudonym, ist ein sympathischer Superschurke, der versucht auf den Straßen zu überleben. King Geedorah hingegen ist ein Monster, eine dreiköpfige, gigantisch große goldene Drachen-Hydra, die sehr mächtig ist und MF DOOM Aufträge überträgt. Viktor Vaughn ist quasi wie ein jüngerer MF DOOM. Er blickt zu ihm auf und möchte gerne MF DOOMs Status genießen. Der Name Viktor Vaughn ist eine weitere Spielerei mit dem Namen des Comic-Charakters Doctor Doom, der auch Victor von Doom genannt wurde. 

Das Faszinierende an Dumiles kreativem Schaffen ist, dass er gleichfalls mit Akribie und Leichtigkeit zu Werke ging. So waren seine frühen Veröffentlichungen als MF DOOM nicht sonderlich gut abgemischt, aber genau das war so gewollt und gab seiner Musik einen besonderen rohen Charme, der im Kontrast zum damaligen hochglanzpolierten Hip-Hip-Sound der 2000er-Jahre stand. Sein 1999 erschienenes Solo-Debütalbum Operation: Doomsday unter seinem Künstlernamen MF DOOM gilt als eins der prägendsten Untergrund-Rap-Alben aller Zeiten und besticht durch DOOMs ungewöhnlichen und einzigartigen Produktions- und Rapstil. Der Rapper mit der Maske war geboren.

Der Mensch hinter der Maske

Tatsächlich wurde Daniel Dumile am 13. Juli 1973 in London geboren, allerdings wuchs er in den USA, genauer gesagt in den New Yorker Stadtteilen Long Beach und Long Island auf. Da er sich früh für Comics begeisterte, erhielt er bereits zu Kindheitszeiten aufgrund der phonetischen Ähnlichkeiten zwischen seinem Nachnamen Dumile und dem Comic-Charakter Doctor Doom den Spitznamen DOOM. Als Sohn einer aus Trinidad und Tobago stammenden Mutter und einem simbabwischen Vater entwickelte er früh eine enge Verbindung zur muslimischen Nuwaubian Nation, für die er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Dingilizwe in New York aktiv war.

Als Heranwachsende gingen dann beide in der Hip-Hop-Kultur auf und gründeten die Hip-Hop-Crew KMD (Kausing Much Damage oder a positive Kausing in a Much Damaged society), die zunächst eine Graffiti- und Breakdance-Crew war. Kurze Zeit später vertiefte sich das Brüderpaar in Rap-Musik und fing an zu produzieren: Dumile unter dem Künstlernamen Zev Love X, sein Bruder unter dem Namen DJ Subroc. Bereits 1990 veröffentlichten sie über das Label Elektra ihr Debütalbum Mr. Hood, auf dem sie durchgehend eine Englisch-Spanisch-Sprachunterrichts-Vinyl sampleten und daraus das Narrativ des Albums konzipierten. Ein Vorgehen, das sich durch DOOMs gesamte Karriere ziehen sollte, denn das Samplen von skurrilen Schnipseln, bspw. aus TV-Sendungen, die er auf VHS-Kassetten aufgenommen hatte, lässt sich auf allen Solo-Alben finden. So fügte er für einen seiner Skits gerne mehrere Sprachschnipsel aus verschiedenen Quellen zusammen, wobei seine Referenzen von Comic-Serien über Blacksploitation-Filme bis zu Gedichten von Charles Bukowski reichten.

Im Jahr 1993, kurz vor der Fertigstellung ihres zweiten Albums Black Bastards, wurde Subroc von einem Auto angefahren und starb. Für Dumile mehr als ein schwerer Schlag, denn die Brüder waren wie Zwillinge und teilten das gleiche Mindset. Über ein Jahr arbeitete Dumile nun an der Fertigstellung des Albums, das wegen einer Kontroverse über das Album-Cover und anderen unbekannt gebliebenen Gründen letztlich dennoch nicht erschien.

Als Auslöser des Nichterscheinens gilt vornehmlich die auf dem Cover zu sehende Kleine-Sambo-Figur, die im Stile des Galgenmännchen-Spiels hängt. Die Bedeutung im Kontext der Pro-Schwarzen-Lyrics der Gruppe eindeutig – der Tod jeglicher rassistischer Stereotype. Im Billboard-Newsletter erschien allerdings kurz vor Veröffentlichung des Albums ein Artikel, der harsche Kritik am Cover übte, das angeblich rassistische Stereotype reproduziere. Das Label Elektra bekam es daraufhin mit der Angst zu tun und speiste Dumile mit einer Abfindung ab, ohne das Album zu veröffentlichen. Auch kein anderes Label erklärte sich aufgrund der damaligen hitzigen Lage dazu bereit, sich des Albums anzunehmen. Ein weiterer schwerer Schlag für Dumile, der bis zum Jahr 2000 auf ein offizielles Release des Albums warten musste.

Die Geburt von MF DOOM

Nach dem Tod seines Bruders und der gescheiterten Veröffentlichung des zweiten KMD-Albums tauchte Dumile für einige Jahre unter und arbeitete an Songs seines neuen Alter Egos MF DOOM. Der Charakter DOOM war schon zu Lebzeiten seines Bruders geplant und so übergab Dumile Ende der 90er-Jahre seinem langjährigen Freund und Labelbesitzer Bobbito Garcia die in dieser Zeit aufgenommenen Demos weiter, die Garcia als 7-Inches veröffentlichte. Bereits zu diesem Zeitpunkt schlug MF DOOM in der New Yorker Untergrund-Szene vollends ein, wobei es bis zum Erscheinen seines Solodebüts Operation: Doomsday dauerte, bis er unter seinem Alias MF DOOM auch überregional bekannt wurde.

Bemerkenswert sind hierbei die Perspektiven, die Dumile in seinen Songs einnehmen konnte. Er glich in dieser Hinsicht vielmehr einem Schriftsteller oder Drehbuchautor. Diese Eigenschaft trat prägnant in seiner textuellen Selbstreferenzialität auf, da er in seinen Songs gerne über sich in der dritten Person rappte. Neben battlelastigen Texten glänzte DOOM durch sein immenses Wissen über Schwarze Geschichte, das er immer wieder in seinen Songs durchscheinen ließ. Einzigartig sind zudem DOOMs Binnenreimkaskaden und seine Fähigkeit, auf den ungewöhnlichsten Beats in einer Art und Weise zu flowen, dass es sich harmonisch anhört. Dabei arbeitete er oft mit Pausen und abgehackten Passagen. Als Beispiel seien hier die Songs Accordion und Rhinestone Cowboy empfohlen.

Hoch- und Tiefphasen

Die Jahre 2003 bis 2005 werden gemeinhin als Hochphase seines künstlerischen Outputs angesehen. Es erschienen eine Vielzahl an qualitativ hochwertigen Alben, darunter Vaudeville Villain und VV:2 unter seinem Pseudonym Viktor Vaughn, das einzige King Geedorah Album Take me to your leader, das Kollabo-Album The Mouse and the mask mit dem Produzenten Danger Mouse und Klassiker wie sein Soloalbum Mm..Food oder das bereits erwähnte Kollabo-Album Madvillainy mit Madlib. Auf dem Album Mm..Food, das zugleich ein Anagramm des Namens MF DOOM darstellt, verwendet DOOM durchgehend Lebensmittelmetaphern und auch dieses Album ist mit Comic- und TV-Samples gespickt. 

Cover Mm..Food. [Bildquelle: © Jannick Griguhn]

Madlibs und MF DOOMs Magnus Opus Madvillainy entstand größtenteils innerhalb von zwei Wochen im sogenannten Bomb Shelter, einem zu einem Tonstudio umgebauten Bombenbunker, im Keller des Labels Stones Throw. Madlib produzierte Beats am Fließband, Dumile holte sich die Beat-CDs ab und verschwand in der oberen Etage und schrieb auf allem, was ihm gefiel. Abgesehen von gemeinsamen Rauchsessions und Mushroom-Einnahmen sahen sich beide während dieser Zeit fast nie.

Ab Mitte der 2000er-Jahre wurde es wieder deutlich ruhiger um Dumile, der sich seiner Familie und vor allem seinem schwer erkrankten Sohn widmete. Nur im Jahr 2009 erschien unter dem Namen DOOM ein weiteres Soloalbum des Metallgesichts namens Born Like This. 2010 wurde ihm schließlich die Einreise in die USA nach seiner zweiten internationalen Tour verweigert, da er nur die britische Staatsbürgerschaft besaß. Fast zwei Jahre musste er auf ein Wiedersehen mit seiner Frau und seinen drei Kindern warten, die 2012 zu ihm nach London zogen. Wie von ihm bekanntgegeben wurde, starb sein Sohn King Malachi Ezekiel schließlich 2017 im Alter von 14 Jahren.

Die Abkehr von den USA ist wohl ein entscheidender Grund dafür, dass es im letzten Jahrzehnt noch ruhiger um den Maskenrapper wurde, der seit Erschaffung seines DOOM-Charakters keinerlei öffentliche Auftritte ohne seine Maske absolvierte. Das lang ersehnte Nachfolge-Album Madvillainy 2 scheiterte an der Rückmeldung von Dumile, der noch den letzten Feinschliff anlegen wollte. Es folgten immerhin noch Kollabo-Alben mit Bishop Nehru und Czarface, allerdings gab es immer seltener Gastauftritte des Supervillains.

Metal Face

MF DOOMs Markenzeichen ist wohl seine metallene Maske, die der Rapper in Anlehnung an den Comic-Charakter Doctor Doom konzipierte. Wer einmal das Cover von Madvillainy betrachtet hat, versteht den verbundenen Mythos um den Mann hinter der Maske. Das MF in Dumiles Künstlernamen steht entweder für Metal Face (Rapper DOOM) oder für Metal Fingers (Produzent DOOM). Die Maske diene Dumile zufolge vor allem dazu, den Fokus der Rezipient:innen auf die Kunst und nicht auf das Aussehen des Rappers zu lenken:

It don’t matter what I look like, it don’t matter what the artist look like. It’s more about what the artist sound like. Mask really represents the whole rebel on trying sell a whole human being.

MF DOOM Interview_Red Bull Music Academy (2011)

Dass die Maske paradoxerweise wiederum maßgeblich zur Etablierung und zum Image des Rappers beitrug, entpuppte sich als ein günstiger Nebeneffekt. Die Maske repräsentiere nach Dumile zudem die Botschaft, dass jede Person die Rolle des Villain einnehmen könne:

That villain represents anybody. Anybody can wear the mask, can be the villain. Male or female, any race, so call race. It’s about where you coming from, from your heart. What’s the message, what you got to say, you know what i mean? That’s why i mainly chose to bring the mask into the fold.

MF DOOM Interview_Red Bull Music Academy (2011)

Dumile setzte seine Botschaft in kurioser Weise um. Er engagierte mehrmals MF DOOM-Bots (Doppelgänger) für Bühnenauftritte und stahl den Zuschauer:innen, die für ein Konzert des echten MF DOOMs bezahlten, in feinster Superschurken-Manier ohne Anstrengung ihr Geld. Der Zorn der Fans hielt sich allerdings in Grenzen, denn auch dieser Move nährte nur den Mythos des im Schatten verborgenen Supervillains.

Cover Madvillainy. [Bildquelle: © Jannick Griguhn]

So verwundert es wenig, wenn berichtet wird, dass Dumile generell schwer zu erreichen war und selbst enge Weggefährt:innen ihn nur über codierte Telefonnummern oder verschlüsselte E-Mail- und Text-Messenger erreichten. Dies machte sich der Rapper auch zunutze, indem er nach einem 40.000 Dollar Vorschuss für ein Nachfolgealbum seines Kollabo-Albums mit dem Produzenten Danger Mouse abtauchte, ohne jemals das zugesicherte Album abzuliefern. 

„Living off borrowed time, the clock tick faster“

Der erste Shutdown im Frühjahr 2020 führte dazu, dass meine Freundin und ich vermehrt zeichneten und malten. Ich kam direkt auf die Idee, den Supervillain MF DOOM als Motiv meiner Zeichnungen zu verwenden. Natürlich durfte sein Partner in Crime Madlib nicht fehlen, ebenso dessen außerirdisches Alter Ego Quasimoto. Die weirden Beats und die butterweichen Flows des Metallgesichts schepperten im Hintergrund, während ich mich im Zeichnen und Malen verlor. Umso härter traf mich Anfang des Jahres die Nachricht von seinem Tod, der bereits am 31.10.2020 eintrat. Aufgrund der Abgeschiedenheit des Rappers lag es für Fans in der Luft, dass Dumile nicht allzu alt werden würde, doch damit hatte wohl trotzdem niemand gerechnet. Tröstend bleibt die Ironie, dass der verkleidete Superschurke an Halloween und in dem Jahr starb, in dem die ganze Welt eine Maske tragen musste. Falls ihr vorher noch nie von MF DOOM gehört habt, nutzt die Gelegenheit und taucht ein in die faszinierende musikalische Welt von Daniel Dumile, einem Visionär und einem unglaublich kreativen Geist, der mir fehlen wird.

RIP Daniel Dumile alias MF DOOM, RIP Subroc, RIP King Malachi Ezekiel!

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