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Kirche ohne mich.

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Zwischen Nächstenliebe und Patriarchat: Die katholische Kirche widerspricht sich selbst und es sieht nicht so aus als würde sie bald eine klare Haltung für Gleichberechtigung einnehmen. Unsere Redakteurin Eva ist ausgetreten.

Unauffällig fügt sich die Tür zu Zimmer 48 in den schmucklosen Gang. Ich klopfe und eine gelockte Frau öffnet. Zwei Schreibtische, etwas Chaos und ein Stehpult mit Schutzscheibe. Jemand hat ein Yogurette-Papier mit der Aufschrift „glücklich steht dir“ daran geklebt. Ich reiche meine Bezahlmarke durch die Öffnung in der Scheibe. 

„Sind Sie katholisch oder evangelisch?“ 

– „Katholisch.“

„Familienstand ledig, stimmt?“ 

– „Ja.“ 

Eine unsakrale Unterschrift später hat sich meine Antwort auf die erste Frage geändert. Ich gehöre nun keiner Kirche mehr an.

Vom sinkenden Kirchenschiff

Allein 2020 sind 221.390 Menschen in Deutschland aus der katholischen Kirche ausgetreten. Das sind zwar rund 50.000 Austritte weniger als im Vorjahr, doch mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte steigt die Zahl der Menschen, die sich für den Austritt entscheiden, stetig. Im Verhältnis zu zusammengenommen 5.936 Eintritten und Wiederaufnahmen wird deutlich, wie schnell die Mitgliederzahl der katholischen Kirche schrumpft. 

„Entfremdung“ und „fehlende Bindung“ nennt eine Studie des Bistums Essen, aus dessen Kirche auch ich ausgetreten bin, dabei als häufigste Gründe für den Austritt. Dazu kommt die „nicht mehr zeitgemäße Haltung“ der Kirche, ein Euphemismus für alles von streng patriarchischer Struktur bis zur Ausgrenzung der LGBTQI+-Communities. Die Institution Kirche dann auch noch mit einer Steuer zu unterstützen, ist oft der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Dass die Ergebnisse der Studie so wenig überraschen, ist für mich ein zentraler Grund dafür, die Kirche zu verlassen. Immer wieder wird die gleiche Kritik vorgebracht, scheinbar ohne Effekt: Die katholische Kirche diskriminiert Frauen und Menschen, die sich nicht als heterosexuell und cis definieren, sowie wiederverheiratete Geschiedene. Sie hält an einem weltfremden Zölibat für höhere Amtsträger fest – der Fakt, dass hier kein Anlass zum Gendern besteht, hätte als Austrittsgrund genügt – und die Verschleierung und schleppende Aufklärung der Missbrauchsfälle sind nicht grundlos Skandalthemen. 

Mitte Mai fällt meine Entscheidung: Ich werde aus der Kirche austreten. Dass das nicht so leicht ist, wie gedacht, wird mir klar, als ich auf der Website des Essener Amtsgerichts versuche, einen Termin zu buchen – und alle vergeben sind! Die kommenden zwei Monate sind bereits voll ausgebucht, Termine für die Folgemonate werden erst am ersten Juni freigeschaltet. Also klicke ich mich an besagtem Tag um kurz nach acht Uhr morgens erneut auf das Buchungsportal und diesmal klappt es, ich bekomme einen Termin für Anfang August. Andere haben es mir offenbar gleichgetan, denn schon jetzt sind einige Felder in den ersten zwei Augustwochen rot markiert. 

Scheinheiligkeiten und Heiligenscheine

Zweieinhalb Wochen später liegt an mich adressiert „BENE – Das Magazin des Bistums Essen“ in meinem Briefkasten. Weil ich keine andere Erklärung habe, gehe ich davon aus, dass mir das Heft anlässlich der Anmeldung zum Kirchenaustritt zugesandt worden ist. Auf Seite 13 versucht sich Klaus Pfeffer, Generalvikar des Bistums Essen, an einer Antwort auf die Frage, wie die Kirche aus ihrem Tief herauskommen kann. Er wünscht sich eine Erneuerung der katholischen Kirche und begreift ihren Ansehensverlust als Chance, sich endlich in „Ehrlichkeit und Demut“ zu üben. Ich frage mich: Wann? 

Fortschritte der Kirche kommen – wenn überhaupt – häufig so spät, dass sie längst nur noch Selbstverständlichkeiten sind. Im Oktober 2020 wird Papst Franziskus lautstark dafür applaudiert, dass er homosexuellen Menschen das Recht zugesteht, als Teil der Familie akzeptiert zu werden. Fünf Monate später spricht er sich gegen die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aus. 

Die peinliche Fokussierung auf den „sündhaften“ Geschlechtsakt wird auch innerhalb der katholischen Kirche heftig kritisiert. Es protestieren nicht nur Gruppen wie die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Zahlreiche Kirchengemeinden in Deutschland hissen als Reaktion auf die Worte ihres Oberhauptes Regenbogenflaggen, um sich öffentlich gegen Diskriminierung zu positionieren. 

Zwar stimmt ein bedeutender Teil der aktiven Gemeindemitglieder den menschenfeindlichen Haltungen des Vatikans nicht zu, dennoch finden Anhänger dieser Überzeugungen in der Kirche einen geschützten Raum, um ihre Ansichten zu verbreiten. In weißen Gewändern dürfen sie hohe Ämter bekleiden und diskriminierten Gruppen den Zugang zu diesen Positionen weiterhin verwehren. Anstatt Menschen aller Geschlechter und Sexualität toleriert die katholische Kirche Ausgrenzung und Ungleichheit. Sie überschreitet den Punkt, an dem es um Meinungsfreiheit geht, und bietet ein Podium für Ablehnungsbotschaften. 

Diese grundverschiedenen Haltungen sieht Klaus Pfeffer als Hemmnis für Veränderung. Ich befürchte: Solange die katholische Kirche ihrem Patriarchen und seinen Ansichten verschrieben ist, wird sie dieses Hindernis nicht überwinden und sich klar gegen jegliche Form der Diskriminierung positionieren. Deshalb habe ich entschieden, die Kirche zu verlassen.

Darf ich jetzt noch Weihnachten feiern? 

Am Abend vor meinem Kirchenaustritt bin ich nachdenklich. Keinen der Gründe für meine Entscheidung stelle ich in Frage. Und doch fühlt sich das, was ich am nächsten Tag vorhabe, ein bisschen nach Verlust an. Durch die Nähe meiner Eltern zur katholischen Kirche bin ich im kirchlichen Umfeld aufgewachsen und habe schöne Erfahrungen gemacht. 

Am Dreikönigstag bin ich als Sternsingerin verkleidet von Haus zu Haus gezogen, ich habe im Kinder-Kirchenchor mitgesungen und mich als Messdienerin im Gottesdienst beteiligt. Ich habe meiner Mutter zugehört, wenn sie in der Messe die Lesung vorgetragen hat, und meinem Vater bei seiner Predigt. Beim gemeinsamen Fernsehabend habe ich geholfen, Liederzettel für den Gottesdienst zu falten und in der Kirche habe ich vorn gestanden, um am Mikrofon Lieder anzustimmen. Das Tischgebet ist noch heute fester Bestandteil vor dem Mittagessen bei meinen Eltern.

Selbstverständlich sind auch die Weihnachts- und Osterfeste in meiner Familie fest mit Kirchgang und biblischen Erzählungen verknüpft. Am Heiligen Abend bauen wir morgens gemeinsam die Krippe auf. Während wir die Holzfiguren aus ihrem Papier wickeln, erzählen meine Eltern, wie ich den Engel als Kleinkind „Gloria in excelsis Deo“ nannte. Für den Gründonnerstag vor Ostern haben meine Eltern unsere eigene Tradition eines Abendmahls aus Fladenbrot, Käseplatte, Trauben und Rotwein geschaffen. Muss meine Entscheidung gegen die Kirche nun mit der Konsequenz einhergehen, auch auf die mit ihr verbundenen Traditionen zu verzichten? Wäre es nicht falsch von mir, die Rosinen aus dem Kirchenjahr herauszupicken, während ich die Verantwortung für die Probleme der Kirche anderen überlasse? Und feiere ich an diesen Festtagen womöglich Werte, die mich eigentlich von der Kirche entfernt haben?

Aus mehreren Gründen antworte ich auf diese Fragen mit Nein: Wenn ich meinen Kirchenaustritt auch als Akt der Solidarität mit den Menschen verstehen möchte, die durch die Standpunkte der katholischen Kirche nicht repräsentiert werden und sich der Kirche nicht (vollwertig) zugehörig fühlen können, dann kann ich dieser Institution keinen alleinigen Anspruch auf die christlichen Traditionen zugestehen. Jede:r, für den:die diese Traditionen eine Bedeutung haben, sollte sie leben dürfen – und das passiert ja auch schon. Weihnachten und Ostern sind längst über die engen Grenzen der Kirche hinweggespült, im kulturellen Leben vieler Länder verankert und nicht zuletzt kapitalistisch instrumentalisiert worden. Ich denke, dass sie als geteilte Traditionen mit meiner Familie und meinem Umfeld auch weiterhin einen Platz in meinem Leben haben dürfen. 

Ein Privileg lege ich mit dem Kirchenaustritt jedoch ganz endgültig ab: Kirchliche Arbeitgeber:innen dürfen mich aufgrund meiner bewussten Entscheidung gegen ihre Trägerinstitution fortan nicht mehr einstellen. Was für mich höchstens ein kleines Hindernis ist, kann beispielsweise für Sozialarbeiter:innen, die sich für den Kirchenaustritt entscheiden, ein großer Nachteil sein, weil viele soziale Einrichtungen Teil der Kirche sind.  

Ein neues Morgen? 

Was einmal mit einem Baby im weißen Taufkleid begann, endet merkwürdig nebensächlich mit einem Gang zur Behörde. Ein Sicherheitscheck wie am Flughafen, dann zur Bezahlstelle. 30 Euro Bearbeitungsgebühr kostet der Kirchenaustritt in Nordrhein-Westfalen. Ein kurzer Abstecher in Zimmer 48 und – es ist geschafft! Mit leeren Händen stehe ich vor dem Amtsgericht. Die Bestätigung über meinen Kirchenaustritt wird erst in der nächsten Woche mit der Post bei mir eintreffen. 

An der mit Postkarten dekorierten Wand über meinem Schreibtisch hängt jetzt ein alter Zeitschriftenausschnitt. Auf gelbem Grund zeigt er die Illustration einer Person in Bischofskluft mit Ohrringen, rot geschminkten Lippen und lackierten Fingernägeln. Solange dieses Bild unrealistisch erscheint, bleibt die katholische Kirche eine Kirche ohne mich.

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