Literatur, nachgelesen

open mike: Interview mit der Autorin Kathrin Vieregg

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Auch der diesjährige open mike brachte wieder einmal zahlreiche beeindruckende Texte und Autor:innen hervor. Unser Redakteur Jannick sprach am Rande des Wettbewerbs mit der Autorin Kathrin Vieregg über ihren Auftritt beim open mike und ihren von der Jury ausgezeichneten Text Cui Bono.

Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch fand vor der Preisverleihung der Jury statt.

J: Erstmal herzlichen Glückwunsch, dass du jetzt überhaupt teilnehmen konntest am open mike, dass dein Text ausgewählt wurde. Magst du dich vorstellen und erzählen, wie du zum Schreiben gekommen bist, um dich auszudrücken?

K: Danke! Ich bin Kathrin Vieregg, fünfundzwanzig und wohne in Leipzig. Seit letztem Jahr studiere ich Literarisches Schreiben. Davor habe ich Soziale Arbeit studiert, aber das Schreiben war, glaube ich, schon immer so dabei. Aber ich habe das erst hinterfragt, als das Studium zu Ende war, und ich dachte: Was passiert jetzt? Und ich dachte: Was will ich überhaupt wirklich machen? Und dann habe ich mich umgeschaut und das DLL entdeckt, also das Deutsche Literaturinstitut Leipzig. Ich war also so gar nicht in dem Kosmos und habe erst rückwirkend festgestellt, dass ich schon immer diese Tendenz zur Sprache hatte, das irgendwie wichtig für mich war. Und ich habe gesagt: Okay, wenn sie mich annehmen, gehe ich hin. Und jetzt bin ich dort so zum intensiveren Schreiben abgebogen.

J: Bei deinem Text Cui bono finde ich sehr spannend, dass er diese Zerwürfnisse innerhalb von Familie – den engsten Personen – beschreibt. Und mich würde da interessieren, wie ist der Text zustande gekommen, beziehungsweise, wie bist du auf diese Thematik gekommen und vielleicht auch, was hat dich dann letztendlich motiviert genau diesen Text, – ich denke, du wirst auch andere Texte geschrieben haben, die bei dir wohlbehalten aufbewahrt werden – aber genau diesen Text auch beim open mike einzureichen?

K: Also, ich habe mit dem Thema schon seit vielen Jahren zu tun und im persönlichen Umfeld einfach ziemlich intensive, verschiedene Erfahrungen gemacht. Und ich glaube, ich habe das alles schon so ein bisschen ausgebrütet. Das ist eine Thematik, die mich gesellschaftlich beschäftigt. Also der Umgang damit, wenn mit anderen Menschen die Ebenen der Realität so auseinanderdriften und ich da persönlich immer wieder an Grenzen komme. Ja, und das bewegt mich sehr und ich mache mir darüber viele Gedanken. Dabei sind einige Fragmente entstanden. Der Text, den ich gelesen habe gestern, ist eine dieser Gedankenbewegungen dazu. Ich glaube, er war einfach zu dem Zeitpunkt dann da und ich dachte: Vielleicht ist es okay und gut, wenn er mal rauskommt oder irgendwie laut wird und dann habe ich ihn losgeschickt.

J: Der Schreibprozess an sich ist ja oft auch sehr selbstbezogen. Man ist eigenbrötlerisch für sich. Und dann den Text, wie du jetzt gerade schon gesagt hast, laut werden zu lassen, ist nochmal eine andere Ebene. Wie war es denn jetzt gerade, das vor Publikum vorzutragen? Was war das für ein Gefühl? Was hast du für Eindrücke mitgenommen?

K: Es war nochmal ganz anders, als ich gedacht hätte. Also, ich hatte mich darauf vorbereitet, einfach sehr aufgeregt zu sein und das war ich dann auch, aber in dem Moment, in dem ich dann beim Text war, bei den Ambivalenzen, die die Figuren in meinem Text beschäftigen, da habe ich gemerkt, dass es was mit mir und dem Text macht, wenn er gesprochen wird, und das war eine super interessante Erfahrung für mich. Und irgendwann hat es dann fast, – also Spaß ist ein großes Wort – aber irgendwie war es auf eine Art neu und cool und ganz bereichernd. Ich bin dankbar für die Erfahrung auf jeden Fall.

J: Ich kann mir auch gut vorstellen, dass jetzt gerade wenn man so einmal in Fluss kommt, dass dann die Nervosität ja auch etwas abebbt – dass es dann auch einfach cool ist zu sehen: „Ey, ich kann hier vor so vielen Leuten lesen und die haben Bock.“

K: Voll, und ich habe das wirklich nicht so erwartet. Irgendwann wurde mir klar: Achso, ich muss ja eigentlich nur lesen. Und ich glaube, es ist mit das Dankbarste, was ich auf einer Bühne machen könnte: Auf mein Blatt gucken. Das Publikum ist da und ich spüre das auch. Es ist ja ein Resonanzraum. Es ist ja nicht, wie gegen eine Wand zu brüllen. Dann hat es so nochmal eine ganz eigene Dynamik. Alles ist ganz anders geworden, auch die Stellen, die ich davor andachte anders zu lesen, aber auch okay. Irgendwie bin ich ganz happy mit der Gesamterfahrung, und irgendwie ist nichts passiert, obwohl der Text jetzt laut geworden ist. Genau.

J: Und dein Studiengang Literarisches Schreiben legt ja schon nahe, dass du das auch weiter verfolgen wirst. Und du wirst ja konstant an verschiedenen literarischen Projekten arbeiten. Gibt es da etwas, worauf du dich jetzt gerade sehr fokussierst oder woran aktuell am meisten dein Herz hängt? Hast du da irgendwas in der Pipeline sozusagen?

K: (Lacht). Ja, es ist aber gerade vor allem diese Thematik, die mich beschäftigt. Ich glaube, gerade die Interaktion zwischen Verschwörungsideologien oder Glaubenssystemen und persönlichen Beziehungen. Diese Verschiebungen zu bemerken und sich dazu verhalten zu müssen, ist beängstigend, aber auch faszinierend und auch schmerzhaft. Es hat auch mit Verlust zu tun. Und ja, ich bin mit der Thematik gerade auch weiter prosamäßig beschäftigt. Ich bin damit noch nicht so durch. Es ist ein bisschen schwierig darüber zu sprechen, wenn es so noch nicht richtig eine Form hat, aber ich habe verschiedene Ansätze. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre damit durch, aber etwas darin ist noch zu ungeklärt für mich.

J: Gerade auch die Formfindung, da ist ja dann auch nochmal die Frage: Wie geht man da ran, wie schafft man eine Stimme, die sich dann eben auch durch einen längeren Text zieht?

K: Ja, es ist ein bisschen die Frage danach, was sich dann irgendwie richtig anfühlt, auch noch nach 60 Seiten. Also für mich selber merke ich einfach, dass ich da involviert bin und das jetzt nicht einfach nur Recherche ist. Ich will mich dabei einigermaßen wohlfühlen, aber merke auch, dass es, glaube ich, für den gesellschaftlichen Diskurs wichtig wäre. Und dass diese komplexe Auseinandersetzung irgendwie auch Eingang findet in die Literaturwelt, weil ich glaube, dass viele Menschen damit auch Kontakt haben. Klar, Corona hat das nochmal ein bisschen an die Oberfläche gebracht. Und all das hat ganz verschiedene Facetten und ich glaube, dass auch die Vereinheitlichung, die stattfindet, das nicht gerade löst. Und ich denke, irgendwie muss ein Diskurs stattfinden, der mehr nach Lösungen sucht und diese Ambivalenz bearbeitet. Und ich glaube, dazu beizutragen ist mir wichtig, aber ich habe keine Lösung. (Lacht).

J: Das glaube ich. Ich wünsche dir ganz viel Erfolg bei deinem nächsten Projekt, eben genau diese Lösung zu finden und auch gleich noch ganz viel Erfolg. Danke dir.

K: Dankeschön.

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