Literatur, nachgelesen

It’s the end of the world as we know it

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Axiom’s End, der Debütroman der Videoessayistin Lindsay Ellis, besticht durch einen gelungenen Spagat zwischen Genre-Verbundenheit und Konventionsbruch, der als Auftakt einer Reihe Lust auf mehr macht.

Beim Schreiben, wie bei jeder Kunst, gibt es kein richtig oder falsch, dafür aber Effektivität. Wie lässt sich etwas am besten vermitteln? Faustregeln für das Erzählen einer spannenden Geschichte gibt es noch und nöcher. Manche Bücher leben jedoch davon, diese oft sinnvollen Richtlinien zu biegen und zu brechen. Lindsay Ellis‘ Axioms End dürfte eine solche Ausnahme darstellen.

Science Fiction spielt in der Regel in einem futuristischen Kontext, wenn nicht in der Zukunft selbst: Prognosen über technische und soziologische Entwicklungen und ihre Konsequenzen, seien es digitale Existenzen, künstliche Intelligenz oder das bereits banal gewordene Internet. Der Debütroman der Autorin, bekannt geworden durch ihre Kritiken und Videoessays auf YouTube, spielt hingegen im Jahr 2007 als Smartphones noch Tastaturen besaßen. Eine unauffällige Hobby-Musikerin aus Kalifornien findet sich in der Hauptrolle wieder, da sie das Pech hat, mit ihrem Vater verwandt zu sein.

Truth is a human right.

Der Whistleblower Nils Ortega steht mal mehr mal weniger offensichtlich im Zentrum der Handlung als Initiator: Er veröffentlicht Dokumente, die die Existenz außerirdischen Lebens implizieren, es beweisen und wie es von offizieller Seite versteckt wird. Die Familie bzw. Tochter Cora Sabino wird zur ersten Anlaufstelle beidseitiger Untersuchungen: Die der Regierung, um an den Vater zu gelangen, der in Deutschland Exil fand. Die der Aliens, die ihresgleichen suchen und nach Hinweisen, um dies zu bewerkstelligen.

Die sich entfaltende First-Contact-Geschichte, die sämtlicher kindlich-mystischen Faszination entbehrt, wie sie bei Spielbergs E.T. zu finden ist, fällt überraschend spannend aus. Protagonist:innen, die von der Handlung vorangetrieben werden, statt dass sie letztere antreiben, tendieren dazu, das Publikum zu verlieren. Doch die Alltäglichkeit Coras, ihre Inkompetenz angesichts zweier Situationen, von der eine als unmöglich geglaubt wird, und die resultierende Panik, Ratlosigkeit und Verwirrung lässt sie erschreckend nachvollziehbar wirken; ihre Unfähigkeit, mit der Lage umzugehen, sich von ihr überrumpeln zu lassen und fortgetragen zu werden, ist ihre größte Stärke. Als Nebeneffekt, wenn sie aktiv eingreift, stellt sie teils ihre Unerfahrenheit zur Schau, was wegen ihrer bisherigen Passivität auffällt. Vor allem, weil sich diese Stellen im letzten Drittel konzentrieren, zu einem Zeitpunkt, wo Leser:innen kaum bereit sind, sowas zu verzeihen.

Why didn’t you kill me?
„Why would I kill you?“
You are frightened of me. You perceive me as a threat.
„You are frightening, by human standards […]. I wouldn’t attack you when you’re helpless. Would you… hurt us?“
He paused. Then, „Not without due reason.

Wegen dem imposanten Start scheint der Roman mit dem dritten von vier Teilen an Fahrt zu verlieren: Die Anspannung verebbt, weil für Cora genug Zeit vergangen ist, um sich an die zuvor überfordernden Situationen zu gewöhnen. Nils richtete allen Schaden an, zu dem er in der Lage war, und ist zum Zusehen verdammt. Zusammen mit seiner Existenz im Off fällt seine Präsenz ab. Zeitgleich geraten die Außerirdischen vermehrt in den Fokus, die angemessen und notwendig befremdlich ausfallen. Dadurch kann das Publikum jedoch kaum emotionale Bindung zu ihnen aufbauen. Der frühe Twist, dass sie wie der Vater Geflüchtete aus politischen Gründen darstellen, hilft nach einem halben Jahrzehnt Krise in Europa nicht. Die bereits aufgebaute Sympathie zu Cora hält das Buch über Wasser.

Neben der Spannung sind es die Konsequenzen, die es zieht und es positiv überraschen lassen. In einer Zeit, in der die Zukunft selten so unsicher anmutet wie 2020/21, in der Verschwörungstheorien sich noch nie da gewesener Beliebtheit und Verbreitung erfreuen, stellt dieses Buch wie jeder gute SF-Ableger gute Fragen, weil es seinem Namen alle Ehre macht: Arthur C. Clarke soll gesagt haben, die Option, dass wir Menschen allein im Universum sind, ist genauso furchteinflößend, wie die, dass wir es nicht sind. Was nützt es der Menschheit, dass wilde Theorien sich bewahrheiten und alles, was wir für wahr glaubten, auf den Kopf gestellt wird? Was nützt die Gewissheit? Was ändert es an der Situation? Wie lässt sich das Wissen verwenden, um sie zu beeinflussen? Welche Opfer müssen wir bringen und sind wir bereit dazu? Haben wir eine andere Wahl als die, uns selbst zu verdammen, wenn wir es nicht sind?

Als Auftakt einer SF-Reihe, der Lindsay Ellis bereits zur New-York-Times-Bestsellerautorin machte, regt Axiom’s End das Denken über die Natur des Menschen und dessen Ausdrucks an. Nicht zuletzt, indem ihr durch eine fremdartige Zivilisation ein Spiegel vorgehalten wird, was umso stärker wirkt, weil ihre Vergangenheit eine der möglichen Zukünfte für unsere Spezies darstellt. Überdies tut er es auf eine für sich einnehmende Art und Weise. Mehr kann und braucht man nicht zu verlangen, abgesehen von den Folgeteilen und einer Übersetzung ins Deutsche.

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