aufgeschrieben, Schreibecke

Großmutters Hände

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Ein literarischer Text über Bilderbuch-Großmütter dieser und aller ausgedachten Welten. Mögen sie in Frieden ruhen.

Großmutters Hände waren riesig und zart zugleich. Sie hoben mich auf, wenn ich fiel, sie trugen mich, wenn ich schlief, sie beruhigten mich, wenn ich mich fürchtete. Sie schnitten zweitausend Zwiebeln und zehntausende Kartoffeln, nur, um mich zu sättigen. Sie waren kaputt und grazil zugleich, vor allem waren sie gezeichnet, gar im wortwörtlichen Sinne, denn meine Großmutter erschien mir stets surreal, wie eine aus einem Bilderbuch entsprungene Figur, die sich auf der zweidimensionalen Fläche in den Seiten eingeengt fühlte und um jeden Preis dreidimensional, lebendig werden wollte. In Gedanken stellte ich mir vor, wie sie, einem Maulwurf gleich, den in ihrer Welt gezeichneten lehmfarbenen Boden aufwühlte, bis sie mit ihren schaufelartigen Händen auf ein unterirdisches Loch stieß, das sie in unsere Dimension führte, und jenes Loch, bevor sie es durchschritt, so weit aufriss, bis sie sich mit ihrem gesamten Körper durchzwängen konnte. Natürlich ist das alles Unsinn und doch ist es wahr.

Kaum befreit, gierten die Hände der Großmutter fortan nach allem Lebendigen und griffen dabei oftmals ins Leere. Es sollte ihnen die größte Lehre sein, zwar nach allem greifen zu können und doch nichts festzuhalten. Sie beschränkten sich daher fortan auf alles, was man ihnen zu greifen gab. Sie ernteten Früchte, bestellten Felder, vereisten Zylinderköpfe, klebten Tapeten, schrubbten Böden, verbanden Wunden, pflegten Bedürftige. Dabei waren sie selbst bedürftig, zu selten empfingen sie die Früchte ihrer Arbeit und verloren sich anscheinend selbst in der mechanisch anmutenden Bewegung des Gebens und Betens. Vergeben konnten sie indes nicht, gleichwohl sie sich nie gewalttätig gegen andere zur Faust verformten, so scheuten sie die Berührung des Feindgewordenen, der oftmals nichts von seinem Unglück wusste, da der Anlass des Missmuts für ihn nichtig erscheinen musste. Doch die Hände vergaßen nicht, die Zügel in ihrem festen Griff entglitten ihnen niemals und so folgten wir ihrer Dirigentschaft, mittels derer sie uns liebevoll zu hypnotisieren vermochten.

Es waren magische Hände, die die Kraft besaßen zu heilen und sich mit dem Göttlichen zu verbinden. Erst in ihrer Verschränkung konnten sie sich entfalten, konnten kommunizieren, was nicht kommuniziert werden kann, in Gang setzen, was sich sonst nie bewegte. Schwellungen und Krämpfe vermochten ihre Kräfte nicht zu bändigen, schienen sie gar zu stärken, bis sie erstarrten und auf ewig ruhen. Nie wieder werden sie sich ineinanderfügen, für Niemanden. Auch für mich nicht. Niemand wird je wieder für mich beten. Wem will ich es verübeln, bete ich selbst doch auch für niemanden, nicht einmal für mich selbst. Vielleicht gibt es in dieser Welt nichts selbstloseres als für sich selbst zu beten. Natürlich ist das Unsinn und doch ist es wahr.

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