Fließbandverschleiß
Ein literarischer Text über den alltäglichen Wahnsinn von Supermarktkassierer:innen.
Alles ist Rhythmus. Piep. Piep. Piep. Erbseneintopf, Fischstäbchen, Gemüsepfanne. Es rollt. Eine Essenslawine. 14 Stunden täglich. Pfandbon, es piept, die Adelskrone steht, zwölf Cent zurück. Danke, tschüss. Bedankt wofür? Kauf, was dich kaputt macht. Iss, was dich stopft. Die aufgeplatzten Nähte kaschieren, schnelle Kasse machen. Alles verfügbar. Aber verfügen wir über die Fähigkeit, nicht über alles verfügen zu wollen? Gewohnheit ist ein verzweifelter Sexarbeiter. Streckt sein Hinterteil heraus: „Nimm mich, kostet auch fast nichts!” Anstrengung sowieso nicht. Nur das Angebot annehmen. Zugreifen. Nur für kurze Zeit, die Gewohnheit wandelt sich. Verändert ihre Form, formbares Formfleisch. Extra dickes Hinterteil. Hinterhältig will ich meinen, denn die Gewohnheit hält mit ihren Absichten hinter dem Berg. Ich würde ihn gern besteigen, die Aussicht dahinter sichten, aber unsichtbar, nein, unsicher, was dahinter verborgen liegt. Bergen können, das ist die neue gefragte Fähigkeit. Ich sehe nur Essensberge. Aufgetürmt in fahrbaren Käfigen, alles nur ausgeliehen. Leihbar, kurze Zeit später wieder an der Leine. Angekettet, aufgereiht, wie die Schlange, die sich vermehrt. Snake 3 in Echt. In Echtzeit, beißt sich nur selten in den Schwanz, aber wenn, dann gibt es kein Halten mehr. Niemand hält mehr an sich, sie stoßen sich weg, abstoßend sind alle anderen: „Passen Sie doch auf, vor allem vor mir!“, ein einziges Mal nicht aufgepasst, bekommt man eine verpasst, weil man verpasst hat, aufzupassen.
Ein teuflischer Zirkus, Manege frei an Kasse Drei. Lichter werden ausgepustet, die Lampe erlischt, das Haus steht leer. Die Zahl prangt in Schwarz, jetzt verblasst, Geisterstunde an Kasse Drei. Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht. Den Meisten geht kein Licht auf, dämmrig schauen sie in andere Rücken, bis die Rücken nach vorne rücken, dann rücken sie nach vorne, alles wieder von vorne. Fokus jetzt auf das schwarze Band, das ins Rollen kommt. Alles im Rollen. Alle in Rollen. Freundlich, stumm, aggressiv, zuvorkommend, immer nach trabend, nachtragend, ungeduldig, gelassen, höflich, elegant, hektisch, tollpatschig. Matschig im Kopf, bitte zurücklegen, zu matschig. Nicht gesehen, nicht genau inspiziert, nicht genug kontrolliert, Kontrolle auch mal aufgeben. Bestellungen auch, sich selbst selbstredend nicht. Sich selbst schätzen, das gönne ich mir. Zwölf Flaschen Spätburgunder, im Angebot, besser spät als nie. Drei Packungen Camel, vier Päckchen Airwaves. Zähe Angelegenheit, aber was geht es mich auch an? Ich muss nur angehen, piep, ja gerne, schönen Tag noch, danke auch so. Es zieht in der Handfläche, die gesamte Fläche verschluckt sich ständig selbst. Ein silberner Schlund, der immer weiter frisst, bis man ihm den Saft abdreht. Immer das gleiche schwarze Band hinunterschlingen, ein schwarzes Rinnsal, das die Waren über den Fluss des Fließbandes bringt. Der Hades des Alltags. Zumachen und so schnell wie möglich wegkommen. Der Verschleiß ist nah, die Sehnen spannen und sehnen sich nach einer Auszeit, denn aus Zeit folgt Erholung, aber er holt schon die drei Packungen fettarme H-Milch mit nur 1,8 Prozent aus dem grauen Korb. Prozente bekommt er auch.
„Heute ist der Tag des Paybacks! Steh auf, aufstehen!“, ertönt eine Stimme in mir. Die Kassenklappe donnert, es zerspringt ein unteres Stück des Armaturenbretts, amateurhaftes Konstrukt, Armageddon. Der Stuhl fliegt nach hinten, scheppert gegen das Regalgitter, das in Schwingung gerät. Die Geräte zurren, Zigarettenpackungen werden ausgespien, spuck, spuck, spuck, es spukt. Hochgezogene Augenbrauen wohin man schaut, eine grandiose Show. Ich gebe mir die Bestnote, jetzt folgt die Kür. Ich trete heraus, trete alles um. Ständer, Kisten, Tritte in die Regale, alles, was ich erblicke, alles was mir in den Weg kommt. Das nenn ich Fortschritt! Mit forschen Schritten schreite ich fort, ich schreie „Fort! Fort mit euch, kommt nie wieder!“, Augenlider unter epileptischen Anfällen, Fälle von Anteilnahme, aber eher Entsetzen. Gläser springen, Dosen scheppern, rollen, halten sich auf, neuer Schwung bringt sie wieder ins Rollen, Packungen schlittern über den frisch gewischten Boden. Roher Fisch klebt an der Decke, Blutschlieren laufen die Wände herunter, Rinderherzen liegen auf dem Flur verteilt. Umverteilen! Das ist die Lösung! „Hier, nehmen Sie auch das noch mit, auch das können Sie fressen! Nehmen Sie alles mit, das geht auf mich!“, das wird auf mich zurückgehen, alles auf mich zurückfallen. Die Gitter aus der Tiefkühltruhe entfernt, herausgerissen, lasse ich mich herausreißen aus dem Alltäglichen, lasse mich zurückfallen. Deckel zu, Stille und Kälte. Die Wunden sind geleckt und gekühlt. Moment, was tropft denn da auf meinen Knöchel. Ach, ein Leck. Leck mich am Arsch, scheiß Laden, nicht mal erfrieren kann man hier! Nur innerlich eine Dicke Schicht Eis bilden. Mit dem Pickel gehört sie aufgebrochen, alles aufgebrochen. Alle Kassen auf, der feuchte Traum aller Menschen. „Hören Sie, wir haben alle Kassen geöffnet, greifen Sie rein! Nehmen Sie so viel mit, wie Sie brauchen. Ach, Sie brauchen alles, aber nicht alles verbrauchen! Sonst bleibt nichts für die Mülltonnen übrig, schön separiert, Plastik zu Plastik, Eier zur Biotonne!“
Niemand mehr hier. Draußen dröhnt ein Megafon, die Tür bleibt versperrt. „Gut gemacht“, denke ich mir, und lege mich in die gegenüberliegende Gefriertruhe. Auf einmal Stille, ich frohlocke. Kein Leck zu finden.