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Eine Zeitmaschine aus Papier

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Die Zeitschrift Das Magazin verkauft Nachdrucke ihrer Erstausgabe von 1924. Ein Blick ins Heft nimmt uns mit in die Welt von vor fast 100 Jahren. 

Ein orange gelockter Engel in Latzhosen hält den Blick gesenkt. Was hat er zu verbergen? Die Zeichnung ist auf das Cover der allerersten Ausgabe von Das Magazin gedruckt und wird in den nächsten Monaten zum wiederkehrenden Symbol auf dem Titelblatt der Zeitschrift. Fast 97 Jahre sind seit dem Erscheinen dieser Erstausgabe im Oktober 1924 vergangen. Doch derzeit ist das Heft zum zweiten Mal als Nachdruck erhältlich – eine spannende Gelegenheit, in die Kulturlandschaft der Vergangenheit einzutauchen.

Das Magazin ist eine Monatszeitschrift, die, nach ihrer Einstellung im Jahr 1941, seit 1954 zunächst im DDR-Verlag Das Neue Berlin und seit 2014 im Kurznachzehn Verlag erscheint. Obwohl es 1954 nicht von den ursprünglichen Gründern Franz Wolfgang Koebner und Robert Siodmak weitergeführt wurde, versteht sich das heutige Magazin in der Tradition des Periodikums aus den zwanziger Jahren. Inhaltlich bietet es einen bunten Picknickkorb voller Kulturhäppchen: Dazu gehören Erzählungen und Reportagen, Literatur-, Film-, Musik- und Ausstellungsempfehlungen sowie Fotostrecken, darunter auch Aktfotografien.  

Orientiert am Beispiel amerikanischer „magazines“ war Das Magazin die erste deutsche Zeitschrift ihrer Art. Ein Blick in die Erstausgabe ist eine kleine Zeitreise in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Schwarz-Weiß-Fotografien von Stummfilm-Schauspielerinnen, Erzählungen, in denen eine Zigarettenfabrik oder kokainschnupfende Frauen in Jazzlokalen im Mittelpunkt stehen und mehrere Texte über Frauen- und Männermode. In fröhlich leichtem Ton werden sämtliche klischeehaften Erwartungen an die Goldenen Zwanziger erfüllt. Nicht nur die amerikanischen Magazinvorbilder sind ein Zeichen der Faszination für die Kulturen anderer Länder: Oft geht es um Paris, die ikonische Künstler:innenstadt der Zeit, amerikanischen Berühmtheiten wie Irene Vernon-Castle werden ganze Beiträge gewidmet und der neuste Trend aus China, das Gesellschaftsspiel Mah Jong, erhält ebenfalls eine eigene Seite. Die Erzählungen sind teilweise aus dem Französischen übersetzt, so finden sich auch Geschichten von Henry Bordeaux, Jules Bois und Honoré de Balzac im Heft.

Insgesamt kommt die Themenauswahl der Erstausgabe populärer daher als die ihrer heutigen Nachfolgerinnen. Anstelle von Hollywood-Stars, Royals und anderen Berühmtheiten stehen inzwischen Kultur- und Gesellschaftsthemen im Vordergrund.

Artikel über die Gesellschaftstänzerin Irene Vernon-Castle: „Die populärste Amerikanerin“ [Bildquelle: © Eva Beckmann]

Nicht überraschend und dennoch schockierend spiegeln sich auch die Schattenseiten der Vergangenheit im Magazin. Beim ersten unbeschwerten Durchblättern der Zeitschrift bleibt der heutige Blick an exotisierenden Darstellungen von nicht-weißen Menschen und der unverblümten Verwendung des N-Wortes hängen. Es wimmelt von leicht gekleideten Frauen, die Männer mit ihren Reizen bezirzen. Ein Text über die „Badegirls“ von Coney Island und Florida artet in eine einzige Schwärmerei über ihre Attraktivität aus. Dass weibliche Freizügigkeit in den 1920ern zunehmend gesellschaftsfähig wurde, machen sich einige männliche Autoren zunutze.

Das rauschende Leben der Goldenen Zwanziger geht mit offenem Rassismus und sexistischen Strukturen einher. Die Zeitreise durch das fast hundertjährige Magazin endet trotzdem mit einer optimistischen Rückkehr in die Gegenwart: Hoffentlich werden zukünftige Generationen auch den heute noch etablierten Diskriminierungsformen einmal nur noch mit Fassungslosigkeit begegnen können. Wie man in Zukunft wohl sonst so auf die 2020er blicken wird? Durch eine Zeitschrift, die uns das verrät, können wir leider noch nicht blättern.

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