Allgemein, aufgeschrieben, Schreibecke

Blauer Engel

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Blauer Engel und Zitrone, im Hörnchen eine Kaugummikugel, auf den Eiskugeln Schokoguss und bunte Streusel – ein Text voller zuckrig-süßer Kindheitserinnerungen.

Es geht immer im Kreis. Rund um Rund. Fangen und Verstecken. Runde um Runde. Auf zwei oder acht Rädern. 

„Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?“ 

„300 Meter“ 

„Und wie kommen wir da rüber?“ 

Gar nicht, denn Mama hat zum Essen gerufen. Kurze Pause. Dann wieder auf brennenden Asphalt. Ausschau halten oder entgegengehen? „Was meinst du Robbe?“ Er steht da mit seinen nackten Füßen auf dem schattigen Bürgersteig. Irgendwo klingelt es wieder. „Das war jetzt schon näher.“ Ja stimmt, ich höre auch schon das große Auto.

Mittlerweile, nach über zwanzig Jahren, kann ich noch im Halbschlaf hören, ob grad die Familienkutsche, der Nachbar mit seinem Mazda oder ein Krankenwagen in die Siedlung gefahren kommt. Bei letzterem schrecke ich jedes Mal auf und mache mir Gedanken, wo er halten wird.

Jetzt kommt‘s klingelnd um die Ecke und wir rennen auf die Straße. Von einem Bein aufs andere hüpfend wird das bisschen Taschengeld gegen eine kleine Wundertüte – Blauer Engel und Zitrone, im Hörnchen eine Kaugummikugel, auf den Eiskugeln Schokoguss und bunte Streusel – getauscht.

Die Abkühlung ist viel zu schnell weggeschleckt.

Und jetzt?

In den Wald oder in den Garten? Auf einen Baum oder auf die Schaukel? Selbstgepflückte Beeren am Straßenrand den Eltern und Nachbarn verkaufen oder mit allem, was die Garage so hergibt, ein Spielzelt bauen? Vielleicht doch wieder auf die Räder?

Alles war möglich. Freiheit, obwohl Mama sagt, wann es ins Bett geht. Freiheit innerhalb eines Mikrokosmos aus vier sich zum Kreis zusammenschließenden Straßen. Freiheit ohne finanzielle Unabhängigkeit. Freiheit trotz des Kinderzimmers, das man sich mit den Geschwistern teilen musste. 

Unser größter Wunsch damals? Auf dem Spielplatz um die Ecke ein Baumhaus bauen, sich dort dann heimlich verstecken, wenn die Erwachsenen nach Hause gehen. Und dann spätabends zum Büdchen schleichen, dort kaufen was das Kinderherz begehrt und die Nacht fröhlich schnabulierend in der Baumkrone verbringen.

Endlich fängt es an zu regnen, nein es hagelt sogar. Endlich eine Abkühlung nach der Hitzewelle. Keiner fragt nach Regenschirmen. Es geht schnell raus in den Garten und dort tanzen wir im Hagel. Verklärte kitschige Kindheitsromantik? Nein. Es gibt ein Foto davon: Zwei Blondschöpfe mit Tchiboklamotten im Sommerhagel.

Heute sitze ich bei Regen in meiner Einzimmerwohnung. Es ist die gleiche Straße da draußen, auf der wir uns beim Warten auf den Eismann – der bei uns eine Frau war – die nackten Füße verbrannten. Was von der Freiheit geblieben ist, ist der Geruch des Regens auf warmem Asphalt, der die Erinnerung an die kindliche Unbekümmertheit jedes Mal wieder lebendig werden lässt.

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