Animation ist eine unterschätzte Kunst
Mit jedem Live-Action-Remake drängt sich mehr die Frage auf, wieso sie überhaupt produziert werden, scheinen sie doch immer schlechter auszufallen. Lassen die Originale etwas vermissen, was korrigiert gehört? Haben wir es mit Cash Grabs zu tun, denen abhanden kommt, was jene überhaupt gut und/oder zeitlos gemacht hat? Womit haben Animationsfilme diese Behandlung verdient?
Neuerdings erscheinen mehr und mehr Live-Action-Adaptionen sowohl von TV-Serien, wie Avatar – Herr der Elemente (demnächst zum zweiten Mal) und Winx Club, als auch von Filmen, wie die prominenten Disney-Remakes belegen. Die Letzteren besitzen i.d.R. irgendwas, das ihre Existenz rechtfertigt. Die Will-Smith-Lieder z.B. bergen einen eigenen Charme. Eine Ausnahme stellt Mulan (2020) dar und es ist nicht das einzige Problem dieses Films: Jedes neue Element untergräbt die ursprüngliche Botschaft von Emanzipation, indem die Titelheldin von einer Person, die sich alles erkämpfen muss, zu einer chosen one-esken Figur verkehrt wird, für die sich Plot und Universum beugen und brechen.
Wieso gibt es diesen Trend, klassisch Animiertes (heißt Handgezeichnetes) fotorealistisch aufzubereiten? Aus der Perspektive der Konzerne, die diese Projekte finanzieren, wird der naheliegendste Grund Geld sein. Bereits geliebtes Material zu nehmen, zu aktualisieren und neu auf den Markt zu bringen klingt nach einem profitablen Modell. Problematisch an diesem Gedankengang ist, dass die genannten Beispiele mal mehr, mal weniger enttäuschten. Gerade die Existenz des Avatar-Filmes wird von Fans geleugnet, fehlen doch sämtliche heiteren Passagen, in denen Aang versucht, die Unterbrechung seiner Kindheit durch Krieg und Genozid zu kompensieren. Das Ergebnis ist ein schweres, mental belastendes Etwas, das sich selbst zu ernst nimmt. Wie kann der Trend anhalten, wenn Adaptionen dazu neigen, schlechter als ihre Originale zu sein?
Wenn man sich die Einnahmen ansieht, dann, weil sie lukrativer sind, trotz ihrer relativ geringen, nicht unbedingt technischen, aber inhaltlichen Qualität; das Remake von Die Schöne und das Biest schreibt größere Zahlen als die erste Version, die fast dreißig Jahre Geld einbrachte. Mehr Menschen scheinen interessierter an Live-Action zu sein als an Animation, ob klassisch oder dreidimensional, bzw. ignorieren sie nicht. Besieht man sich Oscar-Nominierungen, würde ein Mangel an Aufmerksamkeit oder Seriosität gegenüber Animationsfilmen erklären, warum Shark Tales oder The Boss Baby überhaupt nominiert wurden.
Ein anderer Unterschied als die Wahl der visuellen Gestaltung ist nicht offenbar; positive Rezensionen werden es nicht sein. Eine mögliche Erklärung kennt man vielleicht aus erster Hand: Es besteht ein Stigma, Animation aller Art sei ‚nur‘ für Kinder. Spätestens wenn man Watership Down (aka. Unten am Fluss) von 1978 sieht, stellt man fest, dass Animation als Modus der Darstellung herhalten muss. Eine Adaptation eines Romans über Hasen, die mit Oppression, Verfolgung und expliziter Gewalt durch Tiere an Tieren kämpfen, hätte sonst nicht produziert werden können, nicht in den 1970ern.
Die unschmeichelhafte Wahrnehmung von Animation ist nicht das erste Mal, dass ein Teilgebiet der Kunst bestenfalls müde belächelt, schlimmstenfalls als Schund gilt, nur weil es prominent im Bereich (Jugend-)Unterhaltung Einsatz findet; das Genre der Fantasy trug ein ähnliches Kreuz, bevor Peter Jacksons Herr der Ringe-Adaptation oder HBOs Game of Thrones ein anderes Bild zeichneten, aber ganz abschütteln können sie das Laster nicht. Natürlich lassen sich endlos Beispiele heranziehen, wie an die Jugend gerichtete Medien helfen, tiefe Einblicke in die conditio humana zu erhalten; eine der Funktionen von Literatur insgesamt. Avatar z.B. stellt eine Charakterstudie von Kindern in permanenten Kriegs- und kriegsähnlichen Zuständen dar. William Goldings Herr der Fliegen schlägt in dieselbe Kerbe und zählt als Klassiker des englischsprachigen Kanons. Nur ändern die überzeugendsten Argumente selten eine festgefahrene Denkweise.
Eine Denkweise, die insbesondere deswegen absurd scheint, weil Computer Generated Imagery in modernen Filmen immer öfter und extensiver genutzt wird, um die Grenzen unserer Realität auszuhebeln, ohne es so aussehen zu lassen; ein Problem, das Animation nie besaß, weil es in ihrer Natur steckt, mehr darzustellen als physisch möglich. Das ist ihr Vorteil und ihre Stärke. Der Versuch, dies in Fotorealismus zu übertragen, kann nur scheitern: Zum einen ist es offensichtlich, dass hausgroße Maschinen, die sich um einen Würfel prügeln, nicht echt sind. Zum anderen muss sich CGI der Realität beugen, um glaubhaft zu bleiben. Das beste Beispiel dürfte der neue Der König der Löwen sein. Die Gesichtsmuskeln von Großkatzen halten für Mimik nicht her, sodass sich ihre emotionale Reichweite auf Indifferenz und Gereiztheit beschränkt; alles andere wirkt merkwürdig. Für einen Film, der auf die visuelle Vermittlung von Gefühlen und ihre Evokation im Publikum angewiesen ist, bedeutet das einen Todesstoß. Doch wenn Animation als solche nutzbringend zum Einsatz kommt und sämtliche Ansprüche von Realismus wegfallen, dann schafft es eine Löwin mit musikalischer Unterstützung selbst begriffsstutzigen, apathischen Kindern wie einst mir, die nicht begreifen (sollen), was impliziert wird, durch einen einzigen Blick die Röte ins Gesicht zu treiben. In Aladdin können sie nicht mehr in Sekundenschnelle über die Wolken reisen, wenn es das Lied verlangt. Niemand kauft Dumbo ab, dass er fliegen kann. Etc.
Animation is a medium, not a genre.
Ihre Flexibilität und Ungebundenheit geben Animation die Möglichkeit, effektvoll und effektiv zu vermitteln. Die Fähigkeit, Akzente zu setzen, zu karikieren, scheinbar spontan die Art und Weise visueller Darstellung grundlegend zu verändern, um einen Punkt deutlich zu machen, beschränkt sich nicht auf Kinderbespaßung. Sämtliche Facetten menschlicher Existenz, Trauer, Liebe, Belastung, Freude, Gewalt, Sex, Abhängigkeit, Freiheit, Hoffnung, können inszeniert, betont und unvergesslich gemacht werden. Wir, als Zuschauer, können die höchsten Höhen erreichen, was das ‚Markenzeichen‘ der Kunst ist. Das gilt für Film generell, da es keine Rolle spielt, ob eine Person mit einer Kamera oder einem Stift in der Hand arbeitet. Animation ist eine Darstellungsweise, ein Medium. Sie ist kein Genre, mit dem Erwartungen einhergehen, einhergehen sollten. Sie kann alles visualisieren und manchmal sogar besser als es die Realität vermag, weil jene Grenzen besitzt, die die Vorstellungskraft nicht kennt.